Herrchenjahre
keinen von ihnen. Sie bekommen immer etwas geboten und haben hinterher viel zu erzählen.
Wie ich vor fünf Jahren auf den Hund gekommen bin?
Das war eine wohlüberlegte Entscheidung, der monate-, wenn nicht gar jahrelanges Abwägen sämtlicher Vor- und Nachteile vorausging. Es waren Zeiten, geprägt von der Lektüre wertvoller Bücher, unzähligen Gesprächen und langem Grübeln. Ich habe mich mit Zuchtstandards auseinandergesetzt, Hundecharaktere analysiert, Wunschlisten erstellt und diese mit Rassetypologien abgeglichen. Die Zahl der Züchter, mit denen ich gesprochen und deren Welpen ich besichtigt und geknuddelt habe, war zweistellig. Mein Wissen wuchs und wuchs, die Vorstellung von dem Hund, der perfekt in meine Familie und meinen Alltag passt, gestaltete sich immer präziser. Letztlich entschied ich mich gegen den reinrassigen, in sechzig Prozent der Fälle kränkelnden Standardfamilien-retriever und gab stattdessen einem robusten Mix aus Schäferhund, der selbstverständlich aus einer kerngesunden Arbeitslinie stammt, und großem Schweizer Sennenhund den
Vorzug. Beide Eltern waren charakterlich extrem stabil, die Groß- und Urgroßeltern ebenso. Kurz gesagt, ich habe mich lehrbuchmäßig auf meinen Hund vorbereitet.
So weit die offizielle Version.
Die ist natürlich ausgemachter Blödsinn, kommt aber immer dann zum Einsatz, wenn mir diese bällchenschleudernden, mit Biorind fütternden, Feinifein jauchzenden, allwissenden, hauptberuflichen Hundehalter am Rande von Hundewiesen auf den Zahn fühlen. Bis auf »robust« und »Schäferhund« und »Mix« stimmt an dieser Geschichte nichts.
In Wirklichkeit ist es ganz anders gewesen.
»Wir wollen einen Hund«, sagt meine jüngste Tochter Marie.
»Wer ist wir?«, erkundige ich mich. Neulich wollte sie noch ein Pferd.
»Du«, sagt sie, »und ich und Lotta und Max und Mama.«
Das ist das Schöne an meiner Familie.
Es ist immer einer da, der genau weiß, was ich will.
Der Rest ist nicht Strategie, sondern Zufall. Zufällig kommt ein streunender Tunichtgut an einem niederrheinischen Bauernhof vorbei und trifft auf eine läufige Hofhündin, die so heiß ist wie ein Waffeleisen. Der Bauer passt nicht auf Madame auf, obwohl die Bäuerin ihm eingeschärft hat, auf Madame aufzupassen. Zufällig kauft Stella, meine Frau, vier Monate später im Raiffeisen-Markt Düsseldorf-Unterbach Schaffutter und entdeckt einen Zettel am Schwarzen Brett, der niedliche Schäferhundmixwelpen anpreist. Zufällig springt bei der Besichtigung derselben ein zartes Schäferhundmixwelpenmädchen genau auf Stella und niemand anderen zu. Die Kleine ist die Einzige mit einer zierlichen Figur, während ihre Brüder und Schwestern wie Fässer aussehen.
Sie guckt derart süß aus der Wäsche, dass wir sie umgehend mitnehmen, auf den Namen Luna taufen und ohne Gesundheitsdiplom und Rassehundverbandzuchtpapierstempelbescheinigung ins Herz schließen.
Ich höre die Bäuerin noch sagen: »Wenn Sie einen ruhigen Hund wollen, nehmen Sie den Rüden da drüben.«
Was für weise, weise Worte.
Aber was tun wir? Wir winken milde ab. Wer will schon einen ruhigen Hund. Pfff, ist ja lächerlich. Die ganze Familie ist lebhaft. Was sollen wir da mit einer vierbeinigen Schlaftablette?
Allein der Name Luna. Was fand ich den romantisch! Später, zu spät, wurde mir klar, dass geschätzte siebzig Prozent der weiblichen Hundepopulation so heißen. Der Rest heißt Emma, Paula oder, wenn die Pfoten eine andere Farbe haben, Socke.
Deswegen werde ich Luna aber noch lange nicht in Gertrud umbenennen. Es war eine Heidenarbeit, diesem Hund den Namen Luna ins Hirn zu pflanzen. Selbst auf die Gefahr hin, dass immer gleich drei angerannt kommen, brülle ich Luna über die Hundewiese. Oder Luni , wenn ich sie besonders liebhabe. Oder ICHGLAUBICHSPINNEVERDAMMTEHACKENOCHMAL. Letzteres kommt öfters vor und ist ihrem bemerkenswerten Charakter geschuldet.
Womit ich bei ihrem Kampfnamen angelangt wäre: Krawallmaus.
Heute, etliche Trockenfuttersäcke klüger und um ein paar Hundert peinliche Vorfälle reicher, schwöre ich beim Lieblingsknochen meiner Großmutter, dass ich nicht noch einmal auf diese Weise einen Hund auswählen werde. Ich werde mich im Vorfeld mit Rassen, Verhaltensweisen und Naturellen vertraut machen, konsequent aussortieren, was
eine genetisch bedingte Veranlagung oder übermäßige Neigung zu Hasenjagd, Ressourcenverteidigung, Hüteverhalten, Dominanz, Leinenaggression, Katzenallergie, Rumrüpeln,
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