Herrengedeck
meine Mutter einen Nervenzusammenbruch zu simulieren, und ich mache mich lieber aus dem Staub.
3. Tag: Montag
8:15 Uhr: Im Badezimmer. Ich wollte als Jugendlicher immer etwas besitzen, das in weniger als zehn Sekunden von null auf hundert beschleunigt. Jetzt habe ich so etwas. Eine Personenwaage.
8:16 Uhr: Whopper-Ich.
8:21 Uhr: Bevor jetzt Missverständnisse aufkommen: Ich stehe zu mir und meinem Äußeren. Ich weiß nur nicht, ob mein Äußeres mir steht.
Andererseits besteht kein Grund zur Panik. Ich habe zwar wirklich ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, aber ich bin jetzt auch nicht so ein monströser Typ, der nur noch quer durch die Tür passt und zum Star einer RTL-II-Doku über Superfette werden könnte. Ich bin kräftig. Gut, sagen wir: sehr kräftig.
Tatsache ist aber auch, dass laut den neuesten Studien leichtes Übergewicht gesund ist und die Lebenserwartung verlängert. Ist ja auch kein Wunder. Wer sich täglich von Kalorien bedroht, von Fett verfolgt und von Kohlenhydraten belagert fühlt, kann ja nur einen Herzinfarkt bekommen.
Und wer sich immer wieder mit Nahrungsentzug, Saftkuren und ekelhafter Du-Darfst -Salami quält, sollte sich nicht wundern, wenn der Körper irgendwann keine Lust mehr hat und den Betrieb einstellt.
Ich will andererseits nicht abstreiten, dass es eine Menge Kerle gibt, die besser auf den dritten, vierten oder fünften Burger verzichten sollten, selbst wenn sie dann hungrig aus dem Lokal gehen müssen. Und genauso bin ich bereit einzugestehen, dass Typen, die T-Shirts tragen, auf denen Dieser Bauch wurde hart erarbeitet steht, einfach lächerlich sind und dass sie lieber T-Shirts mit der Aufschrift Diese Birne wurde weich gefuttert tragen sollten.
8:26 Uhr: Sollte nicht so viel herumgrübeln. Schließlich habe ich heute noch einiges vor, zum Beispiel eine Frau kennenlernen und mich in sie verlieben.
8:48 Uhr: Ich, Stefan Trautmann, Hundert-Kilo-Mann und frisch verlassener Single, verlasse das Haus zum ersten Mal seit Jahren ohne Frühstück! Mein neues Leben hat soeben begonnen.
9:33 Uhr: Ich bin froh, wenn mich niemand nach meinem Beruf fragt. Was ich so mache? Kommt nicht viel in Frage, oder? Bulle, Controller und, richtig, Makler. Ja, es stimmt, ich verdiene mein Geld damit, Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Ich weiß, dass unser Berufszweig einen ähnlich guten Ruf genießt wie Kindergärtner bei einer afrikanischen Privatarmee oder Chef der Deutschen Bahn. Und ich weiß auch, dass das nicht einmal falsch ist. Wir erschießen
zwar niemanden und sind in der Regel sogar pünktlich, aber wenn es um die eigenen vier Wände geht, verstehen die Leute halt keinen Spaß.
Trotzdem mag ich meinen Job. Ich kann Menschen dabei helfen, ihren Traum vom eigenen Zuhause zu verwirklichen. Das ist doch mehr, als so manch anderer behaupten könnte!
9:36 Uhr: Unser großzügiges Büro liegt in einem modernen Bürogebäude in der Innenstadt von Köln. An der Fassade hängt ein großes Schild mit dem in Schwarz und Rot gehaltenen Firmenlogo: Peters & Gabriel , benannt nach den beiden Firmeninhabern Gideon Peters und Laurenz Gabriel. Unter dem Firmennamen steht in kleinerer Schrift Köln - Mailand - London . Wir Angestellten rätseln seit Jahren, was es damit eigentlich auf sich hat, denn keiner von uns ist jemals in der Mailänder oder gar Londoner Niederlassung gewesen. Aber egal. Wer mir Häusern und Wohnungen zu tun hat, weiß, dass es in erster Linie auf die Fassade ankommt. Solange die schön und funkelnd ist, macht es gar nichts, wenn dahinter der Putz bröckelt und die Leitungen durchrosten.
9:38 Uhr: Unten in der Halle begrüßt mich Frau Solinger, unsere Empfangsdame. Sie ist Mitte fünfzig und so etwas wie die gute Seele der Firma. »Guten Morgen, Herr Trautmann, was ist denn mit Ihnen passiert?«, begrüßt sie mich.
»Mit mir? Wieso?« Habe ich vielleicht ein Schild an der Stirn, auf dem steht: Frisch verlassen ? Oder ein großes S am Hintern für Single ?
Frau Solinger winkt ab und fragt mit einem spitzbübischen Lächeln: »Oder machen Sie auf Casual Monday ? Ich finde ja,
dass Ihnen der Stoppelbart gut steht. So verwegen …« An dieser Stelle legt sie den Kopf schief und gibt ein mädchenhaftes Kichern von sich. »Allerdings Ihre Garderobe … Na ja, freuen Sie sich, dass Herr Gabriel nicht im Haus ist. Ich bin mir nicht sicher, ob er damit einverstanden wäre.«
Was Frau Solinger meint, ist die Tatsache, dass ich heute
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