Herrengedeck
Natürlich, wieso bin ich nicht schon viel früher draufgekommen? Ich werde die Frau meiner Träume natürlich im Netz ausfindig machen. Schließlich ist Onlinedating die beste Erfindung, seit die Urzeit-Männchen ihre Frauen mit der Keule erlegt haben.
Verbringe den ganzen restlichen Arbeitstag damit, mich in
allen möglichen Dating-Plattformen anzumelden, Profile zu erstellen und die ersten Kennenlern-Mails zu verschicken. Und da ich auf einen schnellen Fang aus bin, nehme ich es bei der Auswahl der Kandidatinnen nicht so genau, bin also bei den entscheidenden Kriterien - Haarfarbe, Körbchengröße, Monatseinkommen - sehr großzügig. Ich fische sozusagen nicht mit dem Speer, sondern mit dem Schleppnetz. Da muss man halt mit Beifang rechnen, der dann schleunigst wieder über Bord geworfen wird.
0:35 Uhr: Bilanz des ersten Tages positiv. Habe bei Birgit gute Grundlagen gelegt und außerdem genug Mails verschickt, um die nächsten drei Jahre täglich ein Date zu haben.
4. Tag: Dienstag
8:48 Uhr: Werde wieder ohne Frühstück aus dem Haus gehen. Gut, sagen wir fast ohne Frühstück. Denn so ein klitzekleines Toastbrot mit einer einsamen Scheiblettenscheibe und einem kümmerlichen Stück Salami darauf kann man ja kaum als Frühstück bezeichnen. Genauso wenig wie den Magerquark mit echten Früchten, den ich gleich hinterher verdrücke (Überbleibsel von Katja). Und dass ich mir danach noch eine zweifingerdicke Scheibe Brot mit zweifingerdick Nutella drauf gönne, ist ja nur der Nachtisch und nicht das Frühstück selbst. Zählt also nicht.
9:15 Uhr: Bevor ich auf die Straße trete, um zur Arbeit zu gehen, bleibe ich noch einmal kurz im Hausflur stehen. Ich fühle mich dabei wie Miyamoto Musashi, dieser japanische Obersamurai, der dann Managertrainer geworden ist . Du musst jederzeit und überall bereit sein zu töten , lautete seine Philosophie. Bei mir ist es genauso, nur anders: Ich muss jederzeit damit rechnen, der einen, ganz besonderen Frau zu begegnen! Diejenige, in die ich mich verliebe.
Anders als sonst verlasse ich darum nicht einfach das Haus und laufe los. Nein, ich öffne vorsichtig die Tür und spähe
hinaus auf die Straße. Frau in Sicht? Negativ. Wiederhole: Negativ . Erst jetzt trete ich nach draußen und gehe in Richtung Bus, wobei ich mich umsehe wie ein leicht übergewichtiger Spezialagent auf geheimer Mission. Tatsächlich begegnen mir bald auch die ersten Kandidatinnen. Allerdings muss ich mal wieder feststellen, dass der Begriff Frau ausgesprochen dehnbar ist. Nichts dabei, was mich hinter dem Ofen hervorlockt. Aber egal. Ich habe ja Zeit.
9:25 Uhr: Öffentliche Verkehrsmittel sind an sich schon eine Qual, aber wenn man wie ich eine nicht ganz geringe Raumverdrängung hat, gilt das gleich doppelt. Es ist eng, stickig, und immer stehen ausgerechnet die Leute direkt neben einem, die am Abend vorher Döner, Zaziki oder Knoblauchbrot gegessen haben. Wenn dann auch noch Berufsverkehr herrscht und die Einwohnerzahl von Köln schlagartig auf das Doppelte anzuwachsen scheint, ist es noch viel schlimmer.
Der Bus kommt, niemand steigt aus, aber es wollen jede Menge Leute rein. Ich zucke resigniert mit den Schultern und versuche ebenfalls in den Bus zu gelangen, wobei ich mit einer Meute übernächtigter, Playstation-suchtkranker Schüler konkurriere. Fühle mich wie ein Saalordner bei einem Tokio-Hotel-Konzert, der hysterische Teenager zurückhalten muss, damit sie nicht die Bühne stürmen, um sich von Bill Kaulitz schwängern zu lassen.
Geschafft! Die Türen gehen zu und der Bus fährt an. Ich klemme irgendwo zwischen einem schlecht gelaunten Klempner im Blaumann, der einen Mundgeruch hat, als würde er die verstopften Rohre freisaugen, und einer spindeldürren Officelady, die mich verschämt ansieht, weil uns die
Menschenmenge zu einem Körperkontakt zwingt, den man fast schon intim nennen könnte.
An der nächsten Haltestelle geht die Tür auf und wieder wollen nur ein paar Leute einsteigen, aber niemand will raus. Dann aber ruft irgendwo hinter mir eine Passagierin verzweifelt: »Ich möchte raus! Lassen Sie mich bitte durch.«
Der Klempner meint: »Vergiss es, Mädchen. Du kommst hier nicht durch. Keine Chance. Musst bis zur Endstation warten.«
Die Spindeldürre ergänzt: »Ich wollte schon vor drei Stationen raus.«
Und die übrigen Fahrgäste rufen in Richtung Fahrer: »Weiterfahren! Weiterfahren!«
»Bitte, lassen Sie mich raus, ich komme sonst zu spät zu meinem
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