Herrengedeck
Vorstellungsgespräch«, ruft die Passagierin, die aussteigen möchte. Ich drehe mich zu ihr um und entdecke sie bei dem verzweifelten Versuch, sich in Richtung Türe zu schieben, was ungefähr so wirkt, als wäre eine Ballerina in ein Rugby-Match geraten. Sie ist vielleicht Ende zwanzig und ein Typ wie Katie Holmes, nur in Blond. Außerdem kullern ihr gerade die ersten Tränen über die Wangen, weil sie wohl schon ahnt, dass sie den Job, für den sie sich beworben hat, vergessen kann, wenn nicht ein Wunder passiert.
Ich beschließe spontan, dieses Wunder zu sein. Denn hier ist sie, meine erste Chance an diesem Tag. Musashi muss nur noch sein Schwert zücken und zuschlagen.
Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, alleine eine größere Menschenmenge zu kontrollieren. Entweder man hat eine Schusswaffe oder man droht mit einer ansteckenden Krankheit. Bei der zweiten Möglichkeit gibt es noch eine etwas
harmlosere Variante, die ich jetzt anwende. Ich stoße auf einmal würgende Geräusche aus, blähe die Backen auf und sage gepresst: »Ist mir schlecht. Ich muss mich übergeben.«
So schnell war noch nie ein Bus der KVB leer, wie an diesem legendären Dienstagmorgen. Wetten-dass? -reif. Vor allem als ich ganz entspannt als Letzter aussteige, die übrigen Passagiere auf der Straße freundlich anlächele und sage: »War wohl doch nur ein Bäuerchen.«
Kurz darauf stehe ich mit der jungen Frau, die zum Bewebungsgespräch muss, an der Haltestelle. Wir sind allein, nachdem die übrigen Fahrgäste fluchend wieder eingestiegen sind und der Bus abgefahren ist. Ich bereite mich mental auf ihren Heiratsantrag vor, den sie mir jetzt bestimmt machen wird. Sie aber schenkt mir nur ein bezauberndes Lächeln, drückt mir einen Kuss auf die Wange und sagt: »Sie haben meinen Tag gerettet. Sie sind mein Held! Wenn ich das heute Abend meinem Freund erzähle, wird der genauso dankbar sein wie ich. Also, vielen Dank noch einmal.«
Dann hüpft sie davon und lässt mich allein an der Haltestelle zurück. Der nächste Bus kommt erst in zehn Minuten, und das heißt, dass ich mächtig zu spät ins Büro komme und der Tag wieder einmal mit einem Anschiss beginnen wird. Aber das ist mir in diesem Augenblick ganz egal. Ich habe jemanden aus einer Notsituation gerettet. Das fühlt sich gut an. Auch wenn es mich keinen Schritt näher zu Katja gebracht hat.
11:05 Uhr: Sortiere eine Flut hoffnungsvoller und hinreißender Dating-Mails aus und beantworte Fragen zu meinen Vorlieben und meinen Wünschen betreffs einer festen Partnerschaft
( Natürlich möchte ich heiraten. Natürlich bin ich an kurzen Bettgeschichten nicht interessiert. Natürlich ist mir das Herz einer Frau wichtiger als ihr Aussehen. ). Arrangiere erste, vielversprechende Verabredungen.
11:50 Uhr: Zwischenkrise wegen Katja. Stelle fest, dass es einfach unfair ist, wie sie sich verhalten hat. Allein die ganzen Vorwürfe, die sie mir gemacht hat, von wegen ich hätte sie doch nur noch mit der gleichen Selbstverständlichkeit wahrgenommen wie das Sofa, den Fernseher oder den Kühlschrank.
»Aber ich liebe den Kühlschrank«, habe ich geantwortet.
»Schön, dann korrigiere ich mich: Du nimmst mich nicht einmal mehr so wahr wie die Möbel.«
Dabei habe ich Katja mehr als einmal bewiesen, wie viel sie mir bedeutet. Zum Beispiel damals, als sie sich beim Langlaufen im Sauerland den Fuß gebrochen hat und ich sie fünf Kilometer durch den Schnee nach Hause getragen habe (dabei habe ich sie höchstens zwei-, dreimal fallen gelassen).
Oder als sie ihren alten Job verloren hat. Ich meinte, dass sie ihr Geld ja auch als Klofrau oder im Carwash oder bei McDonalds verdienen könnte. Sie hat sich so über mich geärgert, dass sie ihre Wut auf ihren Exarbeitgeber glatt vergessen hat.
Oder als ihre Mutter damals verschwunden war und alle schon dachten, sie sei nun endgültig mit Onkel Kurt aus Aachen durchgebrannt. Da habe ich Katjas Vater getröstet, bin mit ihm übers Wochenende nach Hamburg gefahren und habe ihn ins Dollhouse und in die Herbertstraße geführt. Er war dann fast enttäuscht, als seine Frau wieder auftauchte (sie war in Köln-Ehrenfeld falsch abgebogen und dann irgendwo in der Nähe von Antwerpen rausgekommen).
Oder als Katja diese seltsame Pilzerkrankung hatte und wir wochenlang keinen Sex haben konnten. Ich habe ohne jedes Murren meine Erwachsenenfilme aus dem Geheimversteck im Keller geholt, und wir haben uns das, was wir selber nicht tun konnten, einfach auf
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