Herrengedeck
aufstehen kannst«, fügt die andere hinzu.
Mit diesen Worten springen sie auf und hüpfen leichtfüßig davon wie zwei gut gebaute Känguru-Damen. Ich bleibe auf der Wiese liegen und fühle mich ziemlich müde. War doch eine schlechte Idee, so früh aufzustehen.
10:25 Uhr: Wer hat eigentlich behauptet, dass Sport gesund wäre? Sitze an meinem Schreibtisch im Büro und habe meine nackten Füße auf die Schreibtischplatte gelegt. Die Haut unter meinen Sohlen sieht aus wie Noppenfolie, weil eine Blase neben der anderen sitzt. Und um den Rest meines Körpers steht es auch nicht besser. Mein Gesicht zeigt noch immer deutliche Spuren von Rötung, meine Schweißdrüsen sind andauernd mit einer Art Nachbrenneffekt beschäftigt und meine Laune ist ungefähr so prächtig wie die eines Orang-Utans im Regenwald, der weiß, dass es bald keinen Regenwald mehr geben wird.
10:34 Uhr: »Hallo, Stefan. Ist das eine stumme Aufforderung zu einer Fußmassage? Oder übst du gerade, mit den Zehen zu tippen, weil das schneller geht als deine übliche Methode mit zwei Fingern und stundenlangem Suchen nach der richtigen Taste?«
Birgit! Sie steht vor mir und sieht mich feixend an, wobei ihr Gesicht dann nach und nach einen eher besorgten Ausdruck annimmt. Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Das sind nur die Auswirkungen meines frühmorgendlichen Trainings, Birgit. Du weißt doch, wie ehrgeizig ich in Sachen Sport bin. Und heute Morgen wollte ich mal wieder einen Halbmarathon schaffen, hatte aber vergessen, dass Katja alte Zeitungen in meine Laufschuhe gelegt hatte.«
»Wenn ich ehrlich bin, siehst du gar nicht gut aus. Soll ich dir ein Mineralwasser aus der Küche holen? Oder meinst du, das schaffst du selbst?«
»Ich habe alles im Griff. Aber danke für das Angebot.«
Sie sieht mich mit ihrem entwaffnenden Lächeln an und sagt: »Ich wusste übrigens gar nicht, dass du laufen gehst. Ich dachte immer, du hasst Sport.«
»Aber ganz im Gegenteil, Birgit. Ich bin der totale Freak. So einen geshapten Body, wie ich ihn habe, gibt’s schließlich nicht umsonst.«
Birgit zuckt mit den Schultern. »Schade. Ich dachte, du wärst anders. Ich kann Typen, denen ihr Bizeps wichtiger ist als ihre Beziehung, nicht leiden.«
Mit diesen Worten dreht sie sich um und wackelt mit ihrem gefährlich kurzen Röckchen in Richtung ihres Schreibtischs davon. Zurück lässt sie mich und ein neues Problem. Jetzt habe ich nicht nur Blasen an den Füßen, sondern auch
noch eine seltsame Leere im Kopf, die nur von einer einzigen Frage gefüllt wird: Wie, verdammt noch mal, hat sie das gemeint? Denn wenn ich nicht völlig danebenliege, war das gerade eben eine Art Kompliment. Oder sagen wir: Es wäre eines gewesen, wenn ich mich einfach so gegeben hätte, wie ich wirklich bin.
11:20 Uhr: Der kurze Auftritt von Birgit hat mich daran erinnert, dass ich zum Nichtstun nun wirklich keine Zeit habe. Fußschmerzen hin oder her. Nicht weil ich stattdessen arbeiten möchte, sondern weil ich dringende private Verpflichtungen habe.
16:56 Uhr: Bin gerade online gegangen, um meine Dating-Mails zu bearbeiten, als ein dunkler Schatten auf meinen Schreibtisch fällt. Ich blicke hoch und sehe in ein Gesicht, das ich ungefähr so attraktiv finde wie das von meinem Sachbearbeiter im Finanzamt. Laurenz Gabriel, mein Chef. Im nadelgestreiften Zweireiher und umweht von einer Wolke Cool Water .
»Tag, Trautmann. Störe ich?«, fragt er mit einer Stimme, die so ätzend ist, dass sie sich glatt durch Stahl fressen könnte.
»Allerdings, ich wollte gerade ein Onlineangebot rausschicken«, gebe ich zurück.
»Geschäftlich?«
»Selbstverständlich.«
»Dann nur eine kurze Frage.«
»Bitte.«
»Gucken Sie gelegentlich in Ihren Terminkalender?«
»Ja, gelegentlich. Wieso?«
»Weil Sie dann eigentlich wissen sollten, dass Sie vor einer halben Stunde einen Besichtigungstermin für eine Wohnung gehabt haben.«
»Oh.«
»Ich hoffe, Ihnen fällt mehr ein als Oh !«
»Klar. Wie wäre es mit: Wenn ich Sie nicht hätte, Chef .«
17:24 Uhr: Komme etwas abgehetzt zum vereinbarten Treffpunkt. Das Objekt, um das es heute geht, ist alles andere als sexy. Halb abgerissene Blümchentapete, Linoleumfußboden, Einfachverglasung - und in allen Räumen schwebt der Duft von dreißig Jahren Bratfisch, gepaart mit einer Packung Reval am Tag und einer offenen Kriegsverletzung, die der neunzigjährige Vormieter gepflegt hat, bis er ihr vor kurzem erlegen ist.
Als ich
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