Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
Vom Netzwerk:
am liebsten auf ihn losgegangen, aber sie zwang sich zur Ruhe. Vielleicht war das ein Psychopath, der plötzlich ein Drahtseil aus seiner Nappalederjacke ziehen und sie beide erwürgen würde.
    »Wie viel?«, fragte Dieter.
    »220«, sagte Evelyn.
    Dieter lächelte. »Da bin ich aber erleichtert. Zu euch?«
    »Zu uns?« fragte Evelyn irritiert.
    Dieter blickte zu Boden. »Meine Frau ist zu Hause. Da können wir nicht hin.«
    Evelyn wurde ungeduldig. »Wie wäre es denn, wenn wir die Sache gleich hier und jetzt erledigen?«
    »Hier draußen?« Jetzt sah Dieter erschrocken aus. »Ich hab noch nie …«
    »Wir auch nicht«, entgegnete Evelyn. »Offenbar ist es für uns alle das erste Mal.«
    Dieter straffte sich. »Also gut«, sagte er mit fester Stimme. Er ging auf Jeanette zu. »Du zuerst.«
    »Moment mal, das Geld«, sagte Evelyn und zerrte den Plastikbeutel aus ihrer Tasche, öffnete ihn und hielt ihn Dieter hin.
    »Alles klar.« Dieter griff in seine Hosentasche und warf ein Bündel Scheine in die Tüte. Dann trat er zu Jeanette und umfasste ihre Hüften. Eine Sekunde später lag er auf dem Bauch, die linke Gesichtshälfte schmerzhaft in den Schotter gedrückt und mit einem bohrenden Knie im Kreuz. Auch seine rechte Schulter fühlte sich nicht gut an, denn Jeanette hatte ihm den Arm auf den Rücken gedreht. Sein eben noch zum Kuss gespitzter Mund schmeckte Straßendreck.

    »Grundregeln der Selbstverteidigung«, sagte Jeanette, als sie wieder im Auto saßen. Jetzt saß die junge Frau hinterm Steuer, Evelyn mit zitternden Händen auf dem Beifahrersitz. Sie drehte sich immer wieder um, blickte zu der Stelle, an der Dieter hinkend und fluchend im Gebüsch verschwunden war. Kurz danach hatten sie ihn mit einem Kleinwagen wegfahren sehen, den er versteckt geparkt hatte.
    Jeanette startete den Motor. »Jetzt kommt kein Erpresser mehr.«
    »Was meinte dieser Kerl eigentlich damit, dass wir wohl nicht zum  House of Love  gehören?« fragte Evelyn.
    Jeanette fuhr die Straße hinunter. Hinter einer Mauer erschien ein gepflegter Flachbau. Autos parkten davor, schwarze Limousinen konnte Evelyn sehen.
    »Das  House of Love .« Jeanette wies zu dem Motel. »Rostocks bekanntester Puff. Wusstest du das nicht?«
    Evelyn schüttelte den Kopf und nahm ihr Handy. Als sie es wieder angeschaltet hatte, empfing es eine Flut von Nachrichten. Rückrufbitten, die meisten von Polizeisprecher Grieshaber. Evelyn wählte seine Nummer. Das Gespräch mit ihm war nur kurz. Evelyn klappte wortlos das Handy zusammen. Ihr Gesicht war grau geworden.
    »Was ist?«, wollte Jeanette wissen.
    »Sie haben einen Toten gefunden. Im Keller vom Verwaltungsgebäude.«

Schweigen

    Eisiges Schweigen war Madeleines Antwort auf Gregors abendlichen Anruf, er müsste noch einmal zum Zoo. Jede weitere Ausführung hatte er sich eigentlich sparen können. Sein Wie und Warum war überflüssig. Ihre Wortlosigkeit traf ihn selbst durch das Telefon wie eine Druckwelle. Es war die höchste Form ihrer Missbilligung, die sich auf mehrere Tage ausdehnen konnte. Zufällig war es auch genau die Methode einen Konflikt auszutragen, die Gregor am meisten zu schaffen machte. Es nahm ihm förmlich die Luft. Spätestens am zweiten Tag war er bereit alles zuzugeben und sich für Dinge zu entschuldigen, für die er sich tags zuvor noch im Recht gewähnt hatte. Das war Madeleines Art. Die hatte seine Frau sich nicht für ihn angewöhnt. So war sie, in vielen Lebenslagen temperamentvoll und impulsiv, in manch anderen so verletzlich, dass kein Wort mehr über ihre Lippen treten wollte. Gregor wusste das, er kannte sie so gut, dass er aus einem Zucken im Mundwinkel den Verlauf der nächsten Stunden vorhersagen konnte. Er litt, weil er sie liebte und weil er wusste, wie sie litt.
    Dabei ging es bei ihnen immer um dieselben Probleme, die sich nicht lösen ließen. Was sollte er denn tun? Er ging einfach nur seiner Arbeit nach. Welche Wahl hatte er denn? Es war ja nicht so, dass er mit seinen Freunden angeln war, während sie sich um die Kinder kümmerte. Er versackte auch nicht am laufenden Band abends im  Stadtkind , seiner Stammkneipe in der Leonhardstraße. Es gehörte nun einmal zum Alltag eines Journalisten vor Ort zu sein, wenn es etwas zu berichten gab. Und zwar genau dann, wenn etwas passierte und nicht erst, wenn die Familie fertig gefrühstückt hatte. Wenn es eine Geschichte verlangte, stieg er auch um 23 Uhr wieder aus dem Bett. Genau das war es doch auch, was sie früher so

Weitere Kostenlose Bücher