Herrentier
Leute fanden immer irgendeinen Anlass, um Pyrotechnik in die friedliche Nacht zu jagen. Ein erbärmliches Spektakel, dachte Gregor. Er wusste nicht, was ihn eher befremdete: das Bedürfnis, Hunderte von Euro für ein mittelmäßiges Lichtspiel zu investieren, das nur Sekunden dauerte, oder die Ohs und Ahs der Leute, die sich von den immer gleichen Effekten in immer gleicher Weise beeindrucken ließen. Gregor legte sich gerade eine ätzende Bemerkung zurecht, als sein Blick auf die Frau neben ihm fiel.
»Ich liebe Feuerwerke!« Jeanette starrte hingerissen in den Himmel über dem Stadthafen. Den Mund leicht geöffnet. Die Augen glänzend. Ein Kinderblick wie zu Weihnachten.
»Doch«, sagte Gregor, sich überwindend. »Schön.«
Jeanette rückte an ihn heran, hakte ihren Arm unter den seinen.
»Da!«, rief sie und wies auf den Himmel, wo eine hellweiße Palme zu Staub zerfiel. »Wie die so etwas immer hinbekommen mit ein paar Chemikalien.«
Jetzt berührten sich ihre Körper. Gregor spürte ein vertrautes, sehnsuchtsvolles Ziehen in der Leistengegend, als er meinte, den Duft von Jeanettes Haar riechen zu können.
Gregor war mit ihr in den Stadthafen gegangen. Spazieren wollte er, sich unter vier Augen aussprechen. Über den Zoo. Außerdem hatte Jeanette ein paar Neuigkeiten angekündigt. Aber ganz zwanglos war das Gespräch auf Gregors Familie gekommen, auf die Tatsache, dass er allein war. Strohwitwer. Vielleicht auch verlassener Ehemann, es kam auf die Perspektive an. Ganz abgesehen davon, dass Madeleine und er gar nicht verheiratet waren. Gregor ließ sich gern bedauern von Jeanette, die voller Mitgefühl war. Voller Interesse. Das tat Gregor gut. Zum Ziehen in der Lende gesellte sich ein schmerzhaft schönes Stechen im Herzen. Gespräche voller Gefühl, voller Anteilnahme. Kein Nachrichtenaustausch über Kinderbetreuungstermine, Teilnahmen oder Nichtteilnahmen an Tanzvorführungen, Besorgungen dringend gewünschter, aber komplett sinnfreier Geburtstagsgeschenke. Als Elternteil lief man Gefahr, den Alltag nur noch aus dem Blickwinkel einer Vierjährigen wahrzunehmen. Verständnis zwischen Erwachsenen. Er drückte Jeanettes Arm an seinen, sie rückte noch etwas näher, wies mit dem freien Arm auf den Himmel, neigte ihren Kopf wie zufällig in seine Richtung. Jetzt roch Gregor wirklich ihr Haar, als es seine Wange berührte. Am Himmel tat sich ein rotes Maul auf, aber die Zähne fielen aus und verglühten auf dem Weg nach unten. Wenn Jeanette jetzt ihren Kopf zur Seite drehte, könnten sich ihre Lippen begegnen. Grumm. Das rote Maul hatte einen saftigen Fluch ausgestoßen, der nicht nur zu hören, sondern auch in der Magengegend zu spüren war. Oder war das die Lust, die in Gregor aufstieg und alle Bahnen des rationalen Denkens verstopfte? Als Jeanette den Kopf zur Seite drehte, schloss Gregor die Augen.
Doch ein Kanonenschlag ließ ihn zurückzucken in die Realität. Jeanette hakte Gregor ein und zog ihn in den Strom der Menschen.
»Du sagtest vorhin, du wolltest mir noch etwas zeigen?«, fragte Gregor. »Klang, als wäre es etwas Wichtiges gewesen. Oder wolltest du hier nur das Feuerwerk sehen?«
»Warum eigentlich nicht? Auf diese Weise kann ich wenigstens das Angenehme mit dem Angenehmen verbinden«, antwortete Jeanette und hielt Gregors Arm etwas fester. Gregor wurde unbehaglich.
»Hast du etwas herausgefunden?«
»Nichts Großes«, sagte Jeanette. »Ich habe noch einmal in meinen und Evelyns Unterlagen gegraben. Und dabei ist mir diese Broschüre der Immobilienfirma wieder begegnet, an die damals die Überweisungen gingen: ImmoEvent. «
Gregor blieb stehen. Sein Arm entglitt Jeanettes Griff, und fast wurde sie von dem Menschenstrom von Gregor weggespült.
» ImmoEvent «, wiederholte er, als Jeanette wieder bei ihm war. Sie traten zur Seite aus der Masse heraus.
»Hast du den Namen schon einmal gehört?«
»Heute erst«, sagte Gregor und setzte sich auf eine Bank. Er rieb sich die Augen. »Das gibt es doch nicht.«
Sie setzte sich neben ihn.
»Ich war heute bei Senator Wittekindt. Ab morgen kann er sich auf seinen Rückzug aus der Politik vorbereiten.«
»Wittekindt? Warum das denn?« Jeanette hob erstaunt die Brauen.
»Schmutzkampagne, vermute ich. Jemand will ihn loswerden. Er vermutet ein Komplott innerhalb des Bauamtes und riet mir, mal die Amtsleiterin unter die Lupe zu nehmen, streng vertraulich natürlich. Und das habe ich getan. Vor ein paar Jahren wurde ein Prozess gegen sie
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