Herrin der Falken - 3
Frage
in ihr auf, was sie hier eigentlich tat und warum. Wie war sie
auf den Gedanken gekommen, sie, ein junges Mädchen, könne
etwas fertigbringen, woran selbst der geschickte Davin in zwei
unter fünf Fällen scheiterte? Sie hätte dem Jungen sagen sollen, das Falkenweibchen sei völlig erschöpft, er solle zu ihrem Vater gehen und ihn bitten zu übernehmen. Sie hatte gesehen, was er mit einem wilden, tobenden, erschöpften Hengst fertigbrachte, der aus den freilebenden Herden in den Schluchten und auf den weiter entfernten Berghängen stammte. Eine Stunde, vielleicht zwei, mit ihrem Vater am einen Ende der Longe und dem Hengst an der anderen, und das Pferd kam zum Zaum, senkte seinen großen Kopf und rieb ihn an der Brust des MacAran… sicher gelänge es ihm ebenso, diesen Vogel zu retten. Romilly war müde und fror, sie sehnte sich nach der Zeit, als sie auf ihres Vaters Schoß klettern und ihm alle ihre Sorgen erzählen
konnte…
Die Stimme ging ihr durch Mark und Bein, zornig und kalt –
aber es lag auch Zärtlichkeit darin. Das war die Stimme Mikhails, Lords von Falkenhof, des MacAran.
»Romilly!« sagte er, schockiert, aber mitfühlend. »Tochter,
was machst du denn da? Das ist keine Arbeit für ein Mädchen,
einen Verrin-Falken zu zähmen! Ich habe diesem elenden Davin Befehle gegeben, und er liegt faul im Bett, während der eine
Falke von einem Kind mißhandelt wird und der andere, da bin
ich sicher, auf seinem Block verhungert ist…«
Romilly konnte kaum sprechen, so wehrte sie sich dagegen, in
Tränen auszubrechen und die Beherrschung zu verlieren.
»Das andere Falkenweibchen fliegt frei, um weitere von ihrer
Art auszubrüten«, antwortete sie. »Ich selbst habe sie bei
Sonnenaufgang freigelassen. Und diese hier ist nicht mißhandelt worden, Vater –«
Worte und Bewegungen ließen den Falken heftiger als zuvor
flattern. Romilly keuchte. Es war schwer, das Bewußtsein ihrer
selbst aufrechtzuerhalten gegen die Wut der klatschenden Flü
gel, den Hunger, die Blutlust, das Verlangen, sich loszureißen,
zu fliegen, sich an den dunklen, einengenden Balken zu zerschmettern… aber es ging vorüber. Romilly, die besänftigend
auf den Vogel einsprach, spürte, daß ein anderer Verstand den
ihren berührte und Wellen der Ruhe aussandte… also so
macht Vater das, dachte sie in einem Winkel ihres Gehirns. Sie
strich sich eine schweißtriefende Locke aus den Augen und tat
wieder einen Schritt zu dem Falken hin.
Hier ist Essen, komm und nimm es… Der Magen drehte sich ihr um, als sie das tote Fleisch auf dem Handschuh sah und roch. Ja, Falken kröpfen frische Beute, sie werden gezähmt, indem man sie hungern läßt, bis sie Aas annehmen… Plötzlich zerbrach die Gedankenverbindung zwischen Mädchen, Mann und Falken. Mikhail von MacAran fragte barsch: »Romilly, was soll ich mit dir bloß anfangen? Du hast hier im Falkenhaus nichts zu suchen; das ist keine Arbeit für eine Lady.« Seine Stimme wurde sanfter. »Zweifellos hat Davin dich dazu angestiftet. Mit ihm befasse ich mich noch. Leg das Fleisch hin und geh, Romilly. Manchmal kröpft ein Falke von einem leeren Block, wenn er hungrig genug ist. Wenn dieser es tut, werden wir ihn behalten, wenn nicht, kann Davin ihm morgen die Freiheit geben. Oder sein Junge soll etwas tun, um sich den Brei zu verdienen! Heute ist es zu spät, den Falken aufzulassen. Er wird nicht sterben, und falls doch, ist es nicht der erste, den wir verlieren. Geh ins Haus, Romilly, nimm ein Bad und leg dich ins Bett. Überlasse die Falken dem Falkenmeister und seinem Jungen. Dazu sind sie da, Liebes. Mein kleines Mädchen braucht das nicht zu tun. Geh ins Haus, Romy,
Kind.«
Sie schluckte schwer und spürte die Tränen hervorquellen.
»Vater, bitte«, flehte sie, »ich bin sicher, daß ich sie zähmen
kann. Laß mich bleiben, ich bitte dich.«
»Zandrus Höllen!« fluchte der MacAran. »Wenn nur einer
deiner Brüder deine Kraft und Geschicklichkeit hätte, Mädchen! Aber ich will nicht, daß man sagt, meine Töchter müßten
in Falkenhaus und Stall arbeiten! Hinein mit dir, Romilly, ich
will kein Wort mehr hören!«
Sein Gesicht war streng und unerbittlich. Der Falke flatterte
von neuem, und Romilly spürte die Explosion von Wut, Frustration, Panik in ihrem eigenen Innern. Sie ließ den Handschuh fallen und lief schluchzend vor Zorn davon. Ihr Vater
verließ hinter ihr das Falkenhaus und schloß die Tür ab.
Romilly ging auf ihr Zimmer, wo sie ihre schmerzende Blase
leerte. Eine der
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