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Herrin der Falken

Titel: Herrin der Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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drinnen lag Orain, betäubt von dem Schlaf, den sie über alle Wesen geworfen hatte, aber Schmerz, Furcht, Verzweiflung durchdrangen ihn, dazu die Hoffnung, es werde ihm vielleicht irgendwie gelingen, schnell zu sterben. Vorsichtig, vorsichtig sandte sie einen Hauch von einem Gedanken aus.
    Bleib ruhig, bewege dich nicht, damit niemand mißtrauisch wird, wenn du erwachst…
    Die Tür quietschte, aber drinnen war alles so still, daß der schlafende Mann vor Orains Tür sich nicht regte. Weiter hinten spürte Romilly die steinerne Wand von Lyondri Hasturs Gedanken – auch er war tief beunruhigt. Das Schreckliche ist, daß Lyondri nicht von Natur aus grausam ist. Er will nicht einmal zusehen, wenn die Folterknechte seine schurkischen Befehle vollziehen. Er tut dies nur der Macht wegen!
    Seine Gedanken formten eine Frage, suchten nach einem Eindringling. Romilly verbarg ihren eigenen Geist schnell in dem einer Katze, die vor dem Herd schlief, und einen Augenblick später schlief auch Lyondri Hastur wieder ein. Der Wachposten war nicht einmal aufgewacht.
    Selbst wenn ich ihn so schnell töte, daß er nicht mehr aufschreien kann — Romillys Hand schloß sich fester um den Dolch an ihrem Gürtel – wird sein mentaler Todesschrei Lyondri wecken! Aber vielleicht schreckt er davor zurück, Orain mit eigenen Händen umzubringen…
    Sie mußte es tun. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Dann merkte sie, daß der Wachposten tiefer schlief, als sie es mit ihrem Zauber, der die ganze Stadt erfüllte, hätte bewirken können. Und ein anderer Geist berührte ihren. Hinter ihr war ein leises Geräusch, sie fuhr herum, den Dolch in der Hand. »Töte mich nicht, Romilly«, hauchte Caryl. Er trug ein weißes Kindernachthemd, und sein helles Haar war zerzaust, als komme er gerade aus dem Bett. Er breitete die Arme aus und umschlang sie fest… aber nicht für einen Augenblick wankte der Zauber…
    »Oh, Romilly, Romilly. Ich habe meinen Vater angefleht, doch er wollte nicht auf mich hören. Ich kann es nicht ertragen, was sie Orain antun. Es… es tut mir auch weh. Bist du gekommen, um ihn wegzuholen?« Sein Geflüster war beinahe unhörbar. Wenn Lyondri erwachte und die Gedanken seines Sohns suchte, würde er glauben, Caryl habe einen Alptraum. Und Lyondri Hastur hat dies an einem Ort getan, wo sein Sohn es erfahren und mitleiden mußte.
    »Er sagte, es würde mich für die Notwendigkeit stählen, manchmal grausam zu sein, wenn das Wohl des Reiches es verlange«, flüsterte Caryl. »Es macht mich… krank. Ich wußte nicht, daß mein Vater dazu fähig wäre.« Er kämpfte gegen die Tränen an, denn sein Weinen würde seinen Vater wecken. Romilly nickte. »Hilf mir, die Hunde ruhig zu halten, wenn ich hineingehe.«
    Sie konnte Orain nicht schlafend mitnehmen. Lautlos stahl sie sich an dem Wachposten vorbei.
    Der Folterer. Er ist schlimmer als ein Tier, sein Geist ist ein Tiergeist, sonst könnte ich ihn nicht so leicht beherrschen…
    »Orain«, flüsterte sie und streckte die Hand aus, um einen unwillkürlichen Aufschrei sofort zu ersticken. Vergiß nicht, du träumst das alles…
    Orain wußte sofort, was sie meinte. Falls Lyondri erwachte oder sein Schlaf unruhig wurde, sollte er denken, Orain wandere im Traum umher. So geräuschlos wie Romilly stellte er sich auf die Füße. Einer blutete durch einen flüchtig angelegten Verband. Romilly hatte den abgeschnittenen Finger nicht gesehen, aber sie mußte gegen ihr Entsetzen ankämpfen, mußte den Schlafzauber intakt halten. Orain ging durch den Raum und zwang seine Füße zusammenzuckend in die Stiefel. »Ich würde diesen Mann nicht lebend zurücklassen«, mit unbarmherzigen Haß blickte er auf seinen Gefängniswärter. Sie standen jedoch in einem so engen Rapport, daß er Romillys Gründe dafür erkannte und sich auf einen einzigen schadenfrohen Gedanken beschränkte: Wenn Lyondri aufwacht und feststellt, daß ich geflohen bin, während dieser Mann schlief, wird ihm Schlimmeres widerfahren als ein Dolch durchs Herz. Ich sollte ihn töten! Aber dazu bin ich nicht gütig genug. Der Geruch der Luft sagte Romilly, daß der Morgen nahe war. Bald würde sie sich mit den erwachenden Hunden der ganzen Stadt befassen müssen, mit den Kundschaftervögeln auf der Mauer, und wenn die Tiere nicht zur richtigen Zeit erwachten, alarmierte das ihre Betreuer. Sie mußten die Stadt vorher verlassen haben. Romilly faßte Orains Schulter. Auch seine Hand war umwickelt, und über dem abgeschnittenen

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