Herrin der Falken
sie sah auch keine Lichter im Tal, und der Regen wurde immer heftiger. Also mußte sie hinauf, zu der Hütte, ganz gleich, wie primitiv diese war. Wenigstens würde sie sie vor Wind und Regen schützen. Romilly stieg nicht wieder in den Sattel. Auf einem so steilen Pfad kam das Pferd weit besser zurecht, wenn es ihr Gewicht nicht tragen mußte. Sie nahm den Zügel. Das Pferd riß den Kopf zur Seite, und sie sprach ihm begütigend zu. Wenn sie nur ihr eigenes Pferd hätte reiten können! Das hier war ihr fremd. Immerhin war es gefügig und sogar freundlich.
Durch Schnee und Regen wurde eine dunkle Wand deutlicher. Ja, es war irgendein Bauwerk, nicht groß, aber anscheinend wetterfest. Die Tür hing schief in den Angeln und gab ein lautes, protestierendes Quietschen von sich, als Romilly sie aufschob und eintrat.
»Wer ist da?« rief eine zitterige Stimme. Romillys Herz klopfte, und die Kehle wurde ihr eng vor Angst. So finster und baufällig die Hütte war, leer war sie nicht.
Romilly rief schnell: »Ich habe nichts Böses im Sinn, gute Frau. Ich hatte mich im Sturm verirrt, und der Regen gefriert. Darf ich eintreten?«
»Preis und Dank sei dem Lastenträger, daß du gekommen bist«, antwortete die Stimme einer alten Frau. »Mein Enkel ist in die Stadt geritten, und bei dem Unwetter mußte er natürlich irgendwo eine Unterkunft suchen. Ich hörte dein Pferd und dachte einen Augenblick, Rory komme zurück. Aber er reitet ein Hirsch-Pony, und wie ich sehe, hast du ein Pferd. Ich kann mein Bett nicht verlassen. Willst du einen Ast aufs Feuer werfen, Junge?«
Jetzt, wo ihr Gesicht ein bißchen auftaute, konnte Romilly den Rauch riechen. Sie tastete sich in der Dunkelheit bis zu den verkohlten Holzstücken vor. Das Feuer war beinahe aus. Romilly schürte es, lockte es mit kleinen Zweigen ins Leben zurück. Erst als diese brannten, legte sie ein größeres Holzstück und dann einen Ast hinein. Sie hielt ihre Hände über die Flammen und wärmte sie. In dem heller werdenden Schein erkannte sie ein paar wackelige Möbel, eine oder zwei Bänke,
eine alte Truhe und einen in die Wand eingebauten Bettschrank. Gegen die Rückseite gelehnt, saß darin eine alte Frau.
»Komm her, Junge«, befahl sie. »Laß dich ansehen.“
Romilly zögerte. »Mein Pferd –«
»Du kannst es nach hinten in den Stall führen«, sagte die alte Frau. »Tu das erst, dann komm wieder.«
Romilly mußte sich zwingen, den Mantel über das Gesicht zu ziehen und hinaus in die bittere Kälte zu gehen. Der Stall war leer bis auf zwei magere Katzen, die sich winselnd an ihren Beinen rieben. Nachdem sie ihr Pferd abgesattelt und ihm ein paar Stücke von dem Hundekuchen gegeben hatte – das Korn darin genügte als Futter für heute abend –, folgten die Katzen ihr durch die Tür in die Wärme des jetzt hell lodernden Feuers.
»Gut, gut«, lobte die alte Frau mit ihrer zitterigen Stimme. »Ich habe an sie gedacht, da draußen in der Kälte, aber ich konnte nicht aufstehen, um sie einzulassen. Nun komm und laß dich ansehen, Junge.« Romilly trat neben den Bettschrank. Die Alte schob sich ein bißchen höher und sah Romilly scharf ins Gesicht. »Wie kommt es, daß du bei solchem Wetter draußen bist, Junge?«
»Ich reise nach Nevarsin, mestra«, antwortete Romilly. »Ganz allein? In diesem Unwetter?«
»Ich bin vor drei Tagen aufgebrochen, als das Wetter noch schön war.«
»Bist du von südlich des Kadarin? Rotes Haar – du hast etwas von den Hali’imyn an dir«, stellte die alte Frau fest. Sie war in mehrere zerlumpte Tücher gehüllt, und drei oder vier fadenkahle Decken, nicht viel besser als Pferdedecken, lagen auf ihrem Bett übereinander. Die Frau sah hager, ausgemergelt, erschöpft aus.
In einem bebenden Seufzer stieß sie den Atem aus. »Ich hoffte, er würde frühzeitig von Nevarsin zurückkehren, aber sicher ist der Schnee im Norden schlimmer. Nun, wenn du da bist und für das Feuer sorgst, werde ich nicht erfrieren. Meine alten Knochen ertragen die Kälte nicht mehr so wie früher. Bevor mein Enkel ging, legte er für drei Tage Holz ins Feuer, und er sagte, er sei bestimmt zurück, bevor es niederbrenne…«
»Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, mestra?«
»Wenn du einen Topf Brei kochst, kannst du etwas davon abhaben.« Die alte Frau zeigte auf den leeren Topf, den Napf und den Löffel neben sich. »Aber zieh erst deine nassen Sachen aus, Junge.«
Romilly atmete auf. Die alte Frau akzeptierte sie offenbar als
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