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Herrin der Falken

Titel: Herrin der Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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war nie mehr betreten worden. Romilly stahl sich hinein, nahm aus einer Kommode eins seiner einfacheren Hemden und eine alte Lederhose, die ihr ein bißchen zu groß war, zog Darrens zu eng sitzende Hose aus und stieg in Ruyvens weite. Sie versorgte sich auch mit einem Mantel und einer ledernen Überjacke. Noch einmal kehrte sie in ihr Zimmer zurück, um ihren eigenen Falkenhandschuh zu holen. Als sie daran dachte, daß Preciosa fort war, hätte sie ihn beinahe liegengelassen. Aber sie sagte sich: Eines Tages werde ich wieder einen Falken haben, und der Handschuh soll mich an
    Preciosa erinnern. Bevor sie ihren alten Dolch in die Scheide steckte, schnitt sie sich das Haar bis in den Nacken ab. Draußen warf sie den Zopf tief in die Mistgrube, damit sie ihn nicht fanden. Sie hatte Ruyvens Tür wieder abgeschlossen, und sie würden niemals daran denken, seine alten Sachen durchzusehen und die Hemden nachzuzählen. Ihr Reitkleid nahm Romilly mit, so daß sie nach einem Mädchen mit langem Haar in einem grünen Reitkleid suchen würden, nicht nach einem unauffälligen Jungen in einfachen alten Sachen. Im Stall suchte sie unter anderem ausrangiertem Geschirr einen verstaubten Sattel hervor und legte ihn ihrem Pferd auf. Dann überlegte sie es sich und ließ das Pferd im Stall. Ein edler Rappe würde sie überall als eine MacAran verraten. Vorsichtig trug sie den Sattel auf den Hof und machte aus ihm und ihrem Kleid ein Bündel. Das ließ sie liegen und schlich sich in die Küche – im Sommer wurde die Küchenarbeit in einem Außengebäude erledigt, damit es im Haus nicht zu heiß wurde. Sie versorgte sich mit Fleisch und einem angeschnittenen Laib Brot, einer Handvoll Nüssen und ein paar flachen Kuchen aus grobem Mehl, die die Köchin jeden Tag für die besten Hunde, die trächtigen und die säugenden Hündinnen buk. Sie waren durchaus eßbar und würden nicht wie andere
    Bäckereien vermißt werden, da sie zu Dutzenden, fast zu Hunderten hergestellt wurden. Romilly rollte sie in ein Küchentuch und band den improvisierten Beutel zu. Dann zog sie die Stiefel an, ging nach draußen und trug Beutel und Sattel auf die Außenweide, wo alte und nicht mehr arbeitsfähige Pferde grasen durften. Sie hielt nach einem Pferd Ausschau, das ein paar Tage lang nicht vermißt werden würde – hoffentlich glaubte man, sie sei zu Fuß weggelaufen. Schließlich entschied sie sich für einen älteren Klepper. Der alte Coridom, der sich jetzt zur Ruhe gesetzt hatte und nur noch selten das Haus verließ, gebrauchte ihn nur dann, wenn er die ferngelegenen Weiden besuchte. Romilly schnalzte leise – alle Pferde kannten sie –, und er kam an den Zaun getrabt. Sie murmelte ihm freundlich zu, fütterte ihm eine Handvoll Grünzeug, legte ihm den Sattel auf den Rücken und führte ihn vorsichtig den Pfad hinunter. Erst als sie ein gutes Stück außer Hörweite war, stieg sie auf. Ein Hund begann in der Burg zu bellen. Romilly hielt den Atem an und befahl dem Tier mit schierer Willenskraft, still zu sein.
    Am Fuß des Berges kletterte sie in den Sattel und zuckte, als die frischen Verletzungen spannten. Aber sie biß die Zähne zusammen. Der Mantel schützte sie gegen die mitternächtliche Kälte. Einmal blickte sie zu Falkenhof hinauf, hoch auf der Klippe über ihr.
    Lastenträger! Ich kann nicht, kann nicht. Vater tut es leid, daß er mich geschlagen hat, dies ist Wahnsinn, ich sollte zurückkehren, bevor man mich vermißt.
    Doch dann erinnerte sie sich an Darrens Gesicht, als sie ihm den Falken gab, an die Wut ihres Vaters, an Ruyvens verzweifelte Augen bei ihrem letzten Beisammensein, bevor er von Nevarsin weglief… Nein, Vater will uns als das haben, was er wünscht, nicht was wir sind. Sie dachte an Dom Garris’ beleidigendes Benehmen beim Mittsommerfest. Was würde er erst tun, wenn sie ihm übergeben wurde, als seine Frau, sein Eigentum, mit dem er machen konnte, was er wollte – Romillys Gesicht nahm den Ausdruck eiserner Entschlossenheit an. Hätte es in diesem Augenblick jemand gesehen, wäre ihm die große Ähnlichkeit mit ihrem Vater aufgefallen. Sie ritt von Falkenhof weg, ohne zurückzublicken.

ZWEITES BUCH
Der Flüchtling

1.
    Am dritten Tag begann es zu schneien. Romilly, die ihr ganzes Leben im Vorgebirge der Hellers verbracht hatte, wußte, daß sie schnell ein Obdach finden mußte. Kein Geschöpf konnte ein Unwetter überleben, nicht einmal in dieser Jahreszeit, außer unter Dach und Fach. Der Wind schnitt wie ein

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