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Herrin der Falken

Titel: Herrin der Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Botengang für Dom Carlo oder Orain. Zwei Tage später bekam Romilly ihre neuen, nach Maß gearbeiteten Stiefel. Von ihrem Lohn – sie hatte Geld bekommen, denn nun war sie zehn Tage im Dienst – kaufte sie sich an einem Marktstand warme Strümpfe, so daß sie die anderen waschen konnte. Sie hatte sie getragen, seit Orain sie ihr geschenkt hatte. Nachmittags wanderte sie allein in der Stadt Nevarsin umher. Sie genoß die Freiheit, von der sie in der Zeit, als sie noch die damenhafte Tochter des MacAran war, nicht einmal hatte träumen dürfen. Am Abend ließ sie die Vögel erneut fliegen und atzte sie. Nach einem frugalen Essen im Gästehaus schlüpfte sie in die Kapelle und lauschte dem Chor aus Männern und Knaben. Unter den Jungen war ein Sopran mit süßer, flötenähnlicher Stimme. Romilly strengte ihre Augen an und stellte fest, daß es der kleine Caryl war, der Sohn Lyondri Hasturs.
    Caryl wünschte König Carolin nichts Böses. Romilly hoffte, ihre Warnung sei über Orain und Dom Carlo bis zu dem König gelangt, so daß er nicht in die Stadt kam.
    Ein paarmal während der folgenden zehn Tage ging sie mit Orain in diese oder eine andere Kneipe. Aber nie wieder trank er mehr als einen oder zwei Becher von dem hiesigen Wein und wurde davon nicht einmal ein bißchen beschwipst. Romilly hatte Dom Carlo nicht wiedergesehen. Vermutlich ging er irgendwelchen Geschäften für König Carolin nach, die ihn in diese Stadt geführt hatten. Er mochte Nevarsin verlassen haben, um Carolin zu warnen, daß der kleine Caryl im Kloster ihn erkennen würde. Romilly traute dem Jungen nicht zu, Carolin zu verraten. Er hatte gesagt, der König sei freundlich zu ihm gewesen, aber natürlich gehörte seine Loyalität seinem eigenen Vater. Sie stellte Orain keine Fragen. Es war nicht ihre Angele
    genheit, und sie war es ganz zufrieden, nichts Näheres zu
    wissen. 
    Gelegentlich fragte sie sich, wenn ihr Vater sie mit einem Mann wie Orain hätte verheiraten wollen, ob sie dann eingewilligt hätte. Sie glaubte schon. Aber auch das war zweifelhaft.
    Denn dann wäre ich zu Hause geblieben und verheiratet worden und hätte diese wundervolle Freiheit in Stadt und Kneipe, in Wald und Feld nie kennengelernt, hätte nie selbständig gearbeitet und Geld in der Tasche gehabt, niemals gemerkt, daß ich nicht frei war, nie einen Kundschaftervogel fliegen lassen.
    Die großen häßlichen Vögel waren ihr ans Herz gewachsen. Jetzt kröpften sie so zutraulich auf ihrer Hand wie ein Sperlingsfalke oder der Käfigvogel eines Kindes. Entweder wurde ihr Arm stärker, oder sie gewöhnte sich an ihr Gewicht. Jedenfalls konnte sie sie jetzt beträchtliche Zeit halten. Ihre Anhänglichkeit und die Freude, die sie im Rapport mit ihnen empfand, ließen sie mit Bedauern an Preciosa denken. Würde sie den Falken jemals wiedersehen?
    Die anderen Männer sah sie selten. Sie schlief von ihnen getrennt und begegnete ihnen nur morgens und abends, wenn sie alle zu den Mahlzeiten im Gästehaus des Klosters zusammentrafen. Das war ihr nur recht. Sie fürchtete sich immer noch ein bißchen vor Alaric, und auch die anderen kamen ihr merkwürdig und fremd vor. Manchmal hatte es den Anschein, als sei der einzige Mensch, mit dem sie in diesen Tagen sprach, der kleine Caryl – abgesehen von dem Mann, der das Futter für die Vögel, Pferde und Chervines lieferte. Caryl kam, sobald er dem Unterricht für ein paar Minuten entrinnen konnte, um sich die Vögel anzusehen, sie zu halten, liebevoll mit ihnen zu sprechen. Romilly war immer ein bißchen nervös in seiner Gegenwart. Wie leicht konnte er sie gedankenlos mit vai domna ansprechen – es war eine schwere Last für ein Kind, dieses Geheimnis zu bewahren. Einmal kam Orain in die Kapelle, um sich den Gesang anzuhören. Er setzte sich ganz hinten in den Schatten, und Romilly sagte sich, der kleine Junge auf der beleuchteten Empore werde das Gesicht eines einzelnen Mannes im dunkelsten Teil der Kapelle sicher nicht erkennen. Aber das Kind kannte Carolin, daher mochten ihm auch dessen Gefolgsleute nicht unbekannt sein. Sie stand auf und ging leise hinaus. Denn sie fürchtete, der kleine Telepath werde ihre Aufregung wahrnehmen und den Grund dafür in ihren Gedanken lesen.
    Die Mittwinternacht war nahe. Auf dem Marktplatz tauchten Stände voller Gewürzbrot, verziert mit Kupferfolie und buntbemaltem Spielzeug auf, und die Zuckerbäcker schmückten ihre Auslagen mit Sternen, die aus Nußpaste geschnitten waren. Romilly empfand

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