Herrin der Falken
und Vater wird mir bestimmt ein schönes Geschenk mitbringen. Ich bin zwölf Jahre alt, und er hat mir ein gutes Schwert versprochen. Vielleicht bekomme ich es nun als Mittwintergeschenk. Und er geht immer mit mir in die Stadt, damit ich mir Gewürzbrot und Süßigkeiten kaufen kann, und meine Mutter schickt mir jedes Jahr zu Mittwinter einen neuen Mantel. Ich habe sehr fleißig gelernt, weil ich möchte, daß er zufrieden mit mir ist.«
Lyondri Hastur? Hier im Kloster? Romillys erster Gedanke galt Orain und Dom Carlo, ihr zweiter dem König. Sich zur Ruhe zwingend, fragte sie: »Ist dein Vater schon da?“
»Nein, aber er kommt zum Fest, falls das Wetter ihn nicht eine Tagesreise von hier festhält«, erzählte der Junge. »Und Vater fürchtet sich überhaupt nicht vor Stürmen! Er hat etwas von der alten Delleray-Gabe, er kann das Wetter beeinflussen. Du wirst sehen, Vater sorgt dafür, daß es noch vor heute abend zu schneien aufhört.«
»Das ist ein Laran, von dem ich noch nie gehört habe«, meinte Romilly. »Besitzt du es auch?«
»Ich glaube nicht«, sagte das Kind. »Ich habe nie versucht, es anzuwenden. Willst du mich Temperentia fliegen lassen, während du Diligentia nimmst?«
Sie gab dem Kind die Leine und versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. Auch Alaric mußte gewarnt werden, oder würde er versuchen, Rache an seinem Feind zu nehmen, den er als Mörder seiner Frau und seines Kindes betrachtete? Romilly machte es Mühe, die Unterhaltung mit dem kleinen Jungen fortzuführen. Und als sie mit dem Atzen der Vögel halbwegs zu Ende war, sah sie, daß die Stalltür sich öffnete und Orain in den Hof kam. Sie winkte ihm, sich zurückzuziehen. Er achtete nicht darauf, trat näher und fragte: »Noch nicht fertig mit den Vögeln, mein Junge? Beeile dich, ich brauche deine Begleitung für etwas, das ich in der Stadt erledigen muß.«
Caryl drehte sich um und erkannte ihn. Seine Augen wurden groß.
»Mein Lord«, er machte höflich eine kleine Verbeugung, »was tut Ihr hier?«
Orain zuckte zusammen und antwortete nicht gleich. Schließlich sagte er: »Ich habe hier Zuflucht gesucht, Junge, da ich an dem Hof, wo dein Vater den König beherrscht, nicht länger willkommen bin. Willst du nun Alarm schlagen?“
»Ganz gewiß nicht«, erklärte der Junge mit Würde. »Unter dem Dach Sankt Valentins ist sogar ein Verurteilter sicher, Sir. Alle Männer, die hier wohnen, sind Brüder. Soviel haben die Cristoferos mich gelehrt. Rumal, wenn du mit deinem Herrn gehen willst, werde ich die Vögel für dich auf die Recks setzen.«
»Danke, das erledige ich schon.« Romilly nahm Temperentia auf die Faust, und Caryl folgte ihr mit dem zweiten Vogel auf beiden Händen. Er flüsterte ihr zu: »Wußtest du, daß er einer von Carolins Männern ist? Tatsächlich sind sie hier nicht sicher.“
Romilly entgegnete unwirsch: »Ich stelle meinen Vorgesetzten keine Fragen. Und du solltest zur Chorprobe laufen, Caryl.«
Er biß sich errötend auf die Lippe, wandte sich ab und rannte barfuß durch den Schnee davon. Romilly holte tief Atem. Sie wollte etwas zu Orain sagen, aber seine Hand legte sich mit eisernem Griff um ihre Schulter.
»Nicht hier. Außerhalb dieser Mauern. Sie mögen jetzt Ohren haben, und diese Ohren gehören einem gewissen Lord.“
Stumm beendete Romilly ihre Arbeit mit den Kundschaftervögeln und folgte Orain durch die Tore des Klosters. Die Straße lag weiß und still vor ihnen, jeder Laut durch den dicken Schnee gedämpft. Endlich fragte Orain: »Der Hastur-Welpe?«
Romilly nickte. Nach einer Weile berichtete sie so leise, daß Orain sich nahe zu ihr beugen mußte: »Das ist noch nicht das Schlimmste. Sein Vater – Lyondri Hastur – ist vor der Stadt und wird ihn zum Fest besuchen.«
Orain schlug sich mit der geballten Faust in die Handfläche. »Verdammt! Und Zandru weiß, der gehört nicht zu denen, die das Asylrecht achten! Wenn er seine Augen…« Orain verstummte. Endlich murmelte er: »Warum mußte Dom Carlo ausgerechnet jetzt weggehen? Wir werden vom Pech verfolgt! Ich will versuchen, ihm eine Botschaft zu senden.«
Schweigen. Nicht einmal ihre Schritte waren auf der verschneiten Straße zu hören. Orain nahm sich zusammen. »Gehen wir hinunter in die Kneipe. Nach einer solchen Nachricht brauche ich etwas zu trinken, und dort gibt es zur Feier des Tages gewürzten Apfelwein, so daß auch du trinken darfst.«
Romilly fragte vernünftig: »Sollten Alaric und die anderen nicht
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