Herrin der Falken
erfahren, daß der Hastur-Lord kommen wird?“
»Ich werde es ihnen sagen«, antwortete Orain. »Reden wir im Augenblick nicht mehr darüber.«
In der Wirtschaft, wo Orain sie vor ein paar Tagen das Pfeil-werfen gelehrt hatte, bestellte er Wein und für Romilly heißen Apfelwein, der süß nach Gewürzen duftete. Sie trank ihn dankbar und nahm seine Einladung zu einem zweiten Becher an. Orain sagte: »Ich habe ein Geschenk für dich. Der schmutzige Mantel, den du trägst, würde sich nicht einmal für den Sohn eines Stallknechts schicken. Ich habe einen an einem Marktstand gefunden. Er ist alt und abgetragen, aber ich glaube, er wird dir passen.« Er winkte der Kellnerin. »Bringt mir das Paket, das ich gestern hiergelassen habe.«
Er schob es ihr über den Tisch zu. »Ich wünsche dir eine gute Mittwinternacht, und Avarra schütze dich, Sohn.«
Romilly löste die Verschnürung. In dem Paket war ein grüner Mantel aus Rabbithorn-Wolle, fein bestickt und mit Riegeln von gutem Leder besetzt. Er mußte sehr alt sein, denn die Ärmel waren angeschnitten, und diese Mode hatte sie auf Porträts von ihrem Urgroßvater in der Großen Halle zu Falkenhof gesehen. Aber er war herrlich gefüttert und bequem.
Romilly warf den schäbigen alten Mantel beiseite, den sie auf der Flucht vor Rory mitgenommen hatte, und zog den neuen an. Verlegen gestand sie: »Ich habe kein Geschenk für Euch, Master Orain.«
Er legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ich möchte nichts von dir, Sohn, als daß du mich umarmst und küßt wie deinen Vater, wäre er heute hier.«
Errötend umarmte Romilly ihn und berührte mit ihren Lippen vorsichtig seine Wange. »Ihr seid sehr gut zu mir, Sir. Ich danke Euch.«
»Nichts zu danken – jetzt bist du gekleidet, wie es zu deinem roten Haar und deinen Manieren eines Edelmannssohns paßt.“
Es schwang gerade genug Ironie in diesen Worten mit, daß Romilly sich fragte: Wußte er, daß sie eine Frau war? Einmal war sie überzeugt gewesen, daß Dom Carlo es wußte. »Aus dem alten Ding kannst du eine Pferdedecke machen.“
Orain wies den Schankjungen an, den alten Mantel als Bündel zu verschnüren. Romilly hätte ihn lieber weit weggeworfen. Aber bei diesem Wetter brauchten die Pferde Decken, und die, die sie hatte, war für ein wärmeres Klima gedacht. Ihr Pferd würde ihr in diesem Mittwintersturm für die zusätzliche Wärme dankbar sein.
An diesem Abend saßen nur wenige Gäste in der Kneipe. Der heranziehende Sturm und der morgige Feiertag hielten die meisten Männer am eigenen Herd fest, wie Romilly annahm. Nach dem Essen fragte Orain: »Sollen wir nun Pfeile werfen?“
»Ich bin kein so guter Spieler, daß es für Euch der Mühe wert wäre«, antwortete sie, und Orain lachte. »Darauf kommt es nicht an! Nun mach schon.«
Sie warfen Pfeile und tranken zwischendurch aus ihren Bechern, und so verging die Zeit. Plötzlich erstarrte Orain. »Ihr seid dran«, sagte Romilly.
»Wirf du – ich bin gleich zurück«, antwortete Orain mit undeutlicher Aussprache. Romilly dachte: Er kann unmöglich so früh schon betrunken sein! Doch als er wegging, schwankte er, und einer der wenigen Gäste brüllte freundschaftlich: »So früh am Mittwinterabend schon betrunken? Dann wirst du am Festtag selbst den Wein nicht bei dir behalten können, Mann!«
Ob ihm schlecht ist? Soll ich gehen und ihm helfen? Während der Zeit in der Stadt hatte Romilly es sorgfältig vermieden, die öffentliche Latrine hinter jeder Kneipe aufzusuchen – das war der einzige Ort, wo sie unter Umständen entdeckt werden konnte. Aber Orain war gut zu ihr gewesen. Wenn er Probleme hatte, verdiente er gewiß ihre Hilfe.
Eine leise Stimme in ihren Gedanken sagte: Nein. Bleib, wo du bist. Verhalte dich, als sei alles normal. Da Romilly an den Gebrauch ihres eigenen Laran noch nicht gewöhnt war – und sie geriet selten in so engen Kontakt mit den Gefühlen anderer Menschen, obwohl sie den Rapport mit ihren Vögeln jetzt als selbstverständlich betrachtete –, war sie sich nicht sicher, ob das tatsächlich eine Botschaft oder eine Stimme aus ihrem eigenen Inneren war, aber sie gehorchte ihr. Keck zog sie die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie ausrief: »Wer möchte eine Runde mit mir spielen, da der Alkohol meinen Freund besiegt hat?« Zwei Bürger der Stadt standen auf. Sie forderte sie heraus und spielte so schlecht, daß sie bald verloren hatte und ihnen eine Runde spendieren mußte. Ihr war, als bewege sich etwas in der
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