Herrin der Stürme
er kurz: »Donal, begleite mich!« Donal stand auf und eilte hinter ihm her.
Als sie gegangen waren, versuchte Dorilys, ihr Lied wieder aufzunehmen, aber die Stimmung war zerstört, und so brach sie nach kurzer Zeit ab. Allart ging auf den Hof hinunter, wo die Reittiere in die Stallungen gebracht wurden und die Begleitmannschaft der Diplomaten sich versammelte. Er konnte unter ihnen die Abzeichen weiterer Berg-Clans sehen, und daß bewaffnete Männer eintrafen und in den Hof kamen. Aber ihre Bewegungen waren wie die des Wassers, und als er erneut hinblickte, waren sie fort. Er wußte, daß sein Laran für ihn Halluzinationen von Dingen malte, die vielleicht nie geschahen. Er versuchte, sich seinen Weg durch sie zu bahnen, in die Zeit zu sehen, aber er war nicht ruhig genug. Was er spürte – er las nicht bewußt die Gedanken der Männer, die Scathfells Forderung gebracht hatten, aber sie sendeten ihre Empfindungen über den gesamten Landstrich –, war nicht dazu geeignet, ihn zu beruhigen.
Krieg? Hier? Schmerzlich spürte er die Trauer über den langen, schönen Sommer, der jetzt unwiderruflich zerstört war. Wie kann ich hier in Frieden sitzen, während meine Leute im Krieg sind und mein Bruder sich vorbereitet, um eine Krone zu ringen? Was habe ich getan, daß ich solchen Frieden verdiene, wenn sogar meine geliebte Frau Gefahr und Schrecken ausgesetzt ist? Er ging auf sein Zimmer und versuchte sich zu beruhigen, indem er die Nevarsin-Atemtechnik anwandte. Aber angesichts der Augen und Geist bedrängenden Visionen von Krieg, Stürmen und Aufruhr konnte er sich nicht konzentrieren. Er war dankbar, nach einiger Zeit in Aldarans Empfangsraum gerufen zu werden.
Er hatte erwartet, der Gesandtschaft Scathfells entgegenzutreten, wie er sie so oft in seiner Vision gesehen hatte, aber er stieß auf niemanden außer Aldaran, der düster auf den Boden vor seinem hohen Sessel starrte – und Donal, der nervös auf und ab ging.
Als Allart eintrat, blickte Donal ihn dankbar und zugleich flehend an. »Tritt ein, Cousin«, sagte Dom Mikhail. »Jetzt benötigen wir tatsächlich den Rat von Verwandten. Willst du dich nicht setzen?«
Allart wäre lieber stehengeblieben oder wie Donal hin- und hergegangen, aber er nahm Platz. Brütend saß der alte Mann da, das Kinn auf die Hände gestützt. Schließlich sagte er: »Du setzt dich auch, Donal! Du machst mich wahnsinnig, wenn du wie ein von einem tollwütigen Wolf besessener Berserker umherläufst.« Er wartete, bis sein Pflegesohn neben Allart Platz genommen hatte. »Rakhal von Scathfell – die Bezeichnung Bruder gebe ich ihm nicht – hat mir einen Gesandten mit solch schamlosen Forderungen geschickt, daß ich sie nicht länger ruhig hinnehmen kann. Er hält es für richtig, von mir zu verlangen, daß ich ohne Verzögerung, am liebsten noch vor Mittwinter, einen seiner jüngeren Söhne wähle. Ich nehme an, daß ich mich geehrt fühlen soll, daß er mir die Wahl darüber überläßt, welchen seiner verdammten Welpen ich haben will. Er soll formell als mein Erbe adoptiert werden, da ich keinen legitimen Sohn habe und auch, wie Scathfell sagt, in meinem Alter wohl keinen mehr bekommen werde.« Er hob ein Stück Papier auf, das, wie er es fortgeschleudert hatte, auf dem Sitz lag, und zerknüllte es erneut in der Faust. »Er sagt, ich solle alle Männer einladen, Zeuge zu sein, wenn ich einen Sohn Scathfells zu meinem Erben erkläre. Und dann – hört euch die Unverschämtheit dieses Mannes an! – sagt er, dann magst du die wenigen Jahre, die dir noch bleiben, in dem Frieden verleben, den dir deine anderen Taten zugestehen.« Er quetschte den beleidigenden Brief in der Faust, als sei es der Hals seines Bruders.
»Sag mir, Cousin, was soll ich mit diesem Mann anstellen?« Allart starrte ihn bestürzt an. Im Namen aller Götter, dachte er, was meint er damit, mich zu fragen? Glaubt er ernsthaft, ich sei in der Lage, ihm in solch einer Angelegenheit Ratschläge zu erteilen?
Aldaran nickte – freundlicher und auch drängender: »Allart, du bist in Nevarsin geschult worden, du kennst unsere Geschichte und unser Gesetz. Sag mir, Cousin: Gibt es überhaupt keine Möglichkeit, meinen Bruder Scathfell davon abzuhalten, nach meinem Besitz zu greifen, noch ehe mein Körper im Grab erkaltet ist?«
»Mein Fürst, ich verstehe nicht, wie man Euch zwingen könnte, den Sohn Eures Bruders zu adoptieren. Aber ich weiß nicht, wie Ihr Lord Scathfells Söhne davon abhalten wollt, Euch zu beerben. Das
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