Herrin der Stürme
Zimmer um, sah zum ruhigen Himmel und den Hügeln hinauf. Nichts deutete auf Krieg hin, gar nichts. Es war wieder die verfluchte Vorausschau, denn nichts von alldem war in dem stillen Zimmer, in dem Lady Elisa die Saiten der Harfe berührte und sagte: »Sing, Dorilys.«
Die Stimme des Kindes, lieblich und klagend, setzte zu einem alten Lied aus den fernen Hügeln an:
»Wo bist du jetzt?
Wohin lenkt mein Geliebter seinen Schritt?«
Allart hielt solch ein Lied von hoffnungsloser Liebe und Sehnsucht auf den Lippen eines jungen Mädchens für fehl am Platze, aber er war von der Lieblichkeit der Stimme gefangen. Dorilys war in diesem Herbst beträchtlich gewachsen. Sie war größer geworden, und ihre Brüste, auch wenn sie noch klein waren, schienen unter ihrer kindlichen Bluse schon wohlgestaltet, während ihr junger Körper ansehnliche Rundungen aufwies. Sie war immer noch langbeinig und linkisch – sie würde eine hochgewachsene Frau werden. Schon jetzt war sie größer als Renata. Als sie ihr Lied beendete, sagte Dom Mikhail: »Es scheint in der Tat, mein Liebling, daß du die hervorragende Stimme deiner Mutter geerbt hast. Wirst du mir etwas weniger Trauriges singen?«
»Gerne.« Dorilys übernahm die Rryl Lady Elisas und stimmte sie ein wenig nach. Dann begann sie wie beiläufig die Saiten zu zupfen und setzte zu einer lustigen Ballade aus den Hügeln an. Allart hatte sie oft in Nevarsin gehört, wenn auch nicht im Kloster. Ein Rüpel-Lied über einen Mönch, der, wie es einem guten Mönch geboten war, alle seine Besitztümer in den Taschen trug.
»In den Taschen, den Taschen,
Fro’ Domenicks Taschen.
Die prächtigen Taschen in seinem Gewand, Die er stopft’ jeden Morgen mit eiliger Hand; Alles, was er besaß, wenn der Tag begann, Stopfte er in die Taschen und ging sein Tagwerk an.«
Bald lachten die Zuhörer kichernd über den immer weiter zunehmenden und lächerlichen Katalog der Besitztümer, die in den Taschen des legendären Mönchs steckten.
»Alles, was er besaß, wenn der Tag begann, Stopfte er in die Taschen und ging sein Tagwerk an. Eine Schüssel, ein Löffel, zum Beten ein Buch, Zum Schutz vor der Kälte ein wärmendes Tuch, Ein Federkasten, damit schreibt er Traktätchen hin, Ein molliges Kissen, um beim Beten zu knien, Ein Nußknacker, ganz aus Kupfer und Gold …«
Dorilys mußte sich selbst anstrengen, das Gesicht regungslos zu halten, als die Zuhörer zu kichern begannen, und ihr Vater in schallendes Gelächter über die Unsinnigkeit solcher Zeilen ausbrach.
»Die Taschen, die Taschen,
Fro’ Domenicks Taschen …«
Sie war an dem Vers angelangt, der aufzählte:
»Ein Sattel und Zaumzeug, ein Paar Sporen, ein Zügel, Das braucht er fürs Chervine zum Ritt durch die Hügel, Ein goldenes Becken, ein Rasierer aus …«
Unsicher brach Dorilys ab, als die Tür sich öffnete. Lord Aldaran wandte sich ärgerlich seinem Friedensmann zu, der mit solchem Mangel an Höflichkeit eingetreten war.
»Varlet, wie könnt Ihr es wagen, so in das Zimmer Eures jungen Fräuleins einzudringen?«
»Ich bitte die junge Lady um Verzeihung, aber die Sache ist äußerst dringend. Lord Scathfell…«
»Kommt, kommt«, sagte Lord Aldaran gereizt. »Selbst wenn er mit hundert bewaffneten Kriegern vor unseren Toren stünde, guter Mann, würde es solchen Mangel an Höflichkeit nicht entschuldigen.« »Er hat Euch eine Botschaft gesandt. Sein Bote spricht von einer Forderung, mein Fürst.«
Einen Moment darauf erhob sich Mikhail von Aldaran. Er verbeugte sich vor Lady Elisa und seiner Tochter mit einer Höflichkeit, als sei Dorilys’ kleines Unterrichtszimmer ein Empfangsraum.
»Ladies, vergebt mir. Ich hätte Eure Musik nicht willkürlich unterbrochen. Aber ich fürchte, ich muß um die Erlaubnis bitten, mich zurückzuziehen, Tochter.«
Einen Moment lang gaffte Dorilys ihn an. Er erbat ihre Erlaubnis, zu kommen und zu gehen? Das war eindeutig das erste Mal, daß er seine formelle Erwachsenen-Höflichkeit ihr gegenüber zeigte. Aber jetzt kam ihr das gute Benehmen, das Margali und Renata sie gelehrt hatten, zu Hilfe. Sie machte einen so tiefen Knicks vor ihm, daß sie fast auf die Knie sank.
»Ihr seid frei, nach eigenem Belieben zu kommen und zu gehen, Sir, aber ich bitte Euch zurückzukehren, wenn Eure Verpflichtung beendet ist.«
Aldaran beugte sich über ihre Hand. »Das werde ich tatsächlich, meine Tochter. Ladies, verzeiht«, fügte er hinzu und bezog Margali und Renata in seine Verbeugung ein. Dann sagte
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