Herrin des Blutes - Thriller
ab.
Nein … Moment.
Allyson blinzelte heftig und rieb sich verwundert die Augen. Dann konzentrierte sie sich erneut auf das Pärchen auf dem Balkon. Das rabenschwarze Haar der Frau war wallenden blonden Locken gewichen. Allyson redete sich ein, dass ihre Augen ihr einen Streich spielten. Es war ein langer Tag gewesen. Eine Mischung aus Erschöpfung und merkwürdigen Lichtverhältnissen musste dafür verantwortlich sein, dass sie sich zunächst eingebildet hatte, die Frau trage ihr Haar kurz und schwarz.
Eine nette Theorie. Nur dass es blanker Unsinn war und Allyson das nur zu genau wusste. Das Haar der Frau war innerhalb eines Sekundenbruchteils gewachsen und hatte die Farbe gewechselt. Eine spontane Beklemmung ergriff von ihr Besitz. Sie wollte um keinen Preis, dass die beiden auf dem Balkon sich umdrehten. Sie wollte ihre Gesichter nicht sehen. Das nagende Gefühl der Vertrautheit, das sie bereits beim Klang von Schrecks Stimme verspürt hatte, war zurückgekehrt. Sie glaubte zu wissen, um wen es sich bei dieser Frau handelte. Es ergab keinen Sinn, dass sie hier war. Aber was ergab in diesem Haus schon einen Sinn?
Der Ausdruck auf Chads Gesicht traf sie mitten ins Herz. Eine Mischung aus Ungläubigkeit und Sehnsucht.
Er machte einen misstrauischen Schritt auf den Balkon zu.
Allyson hasste sich für die Tränen, die ihr in die Augen schossen. Sie hatte kein Recht, sich verraten zu fühlen. Nicht nach allem, was sie ihm angetan hatte. Vielleicht verdiente sie exakt diese Strafe für das monatelange Hintergehen von Chad. Schicksal? Karma?
Jim legte eine Hand auf Chads Schulter und hielt ihn zurück. Er drehte Chad zu sich um und sagte nur ein einziges Wort: »Nein.«
Chad blinzelte heftig. »Aber … Ich glaube, das ist …«
Jim schüttelte den Kopf, und seine Miene wurde ernst. »Es spielt keine Rolle. Du musst die Vergangenheit hinter dir lassen.« Er wandte sich an Allyson. »Das müsst ihr beide.«
Allyson erschauderte und spürte erneut die eisige Kälte, die ihr in die Knochen kroch und die Temperatur im Raum Lügen strafte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Doch was immer es auch war, das sie hatte sagen wollen, es blieb unausgesprochen, als sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Wand richtete, vor der Schreck und Bai noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatten.
Sie runzelte die Stirn. »Was zur Hölle?«
Die Männer folgten ihrem Blick und bemerkten das senkrechte, schwarze Rechteck in der Wand – der Durchgang zu einem finsteren Ort. Er war vorher noch nicht da gewesen. Und Bai und Schreck waren verschwunden, höchstwahrscheinlich in der Dunkelheit abgetaucht. Der Anblick der Schwärze jenseits der Öffnung löste ein schleichendes Gefühl böser Vorahnungen in Allyson aus. Sie spürte, dass es sich wie ein Bandwurm in ihren Eingeweiden ausbreitete. Sie hatte zwar keine Ahnung, was es mit dieser Finsternis auf sich hatte, aber sie wusste, dass sie lieber sterben würde, als nur einen Fuß hineinzusetzen.
Dann bewegte sich etwas in dem unvermittelt entstandenen Portal, und einen Augenblick später kehrten Bai und Schreck in den Saal zurück. Zwischen ihnen lief eine junge Frau, vielleicht 17 oder 18 Jahre alt. Allysons Herzschlag setzte für einen Moment aus, als sie die verkohlten Stummel an ihren Handgelenken registrierte. Ein wahres Ungeheuer musste sie verstümmelt haben. Sie war nackt, abgesehen von einem knappen schwarzen Slip, ungeheuer blass und lief mit völlig verfilzten Haaren herum. Das Mädchen war zweifellos eine Schönheit, aber in ihren flackernden Augen tobte der Wahnsinn. Sie zitterte und stützte sich an Bai ab.
»Was zur Hölle? Das ist die Frau, die ihr wolltet?« Spucke flog von Allysons Lippen, und jedes ihrer Worte war ein Peitschenhieb, der von tiefem Hohn kündete. »Schau dir doch nur mal an, was man ihr angetan hat. Sie ist erbarmungswürdig. Es ist mir völlig egal, was sie getan hat. Und ihr wollt sie jetzt foltern? Ihr verfluchten Tiere!«
Bais schmales Lächeln wirkte gequält. »Das hat dich nicht zu interessieren.« Sie legte eine Hand an den Griff ihres Schwertes. »Es sei denn, du möchtest, dass ich die Abmachung deines Geliebten mit dem Orden auflöse. Dann, schätze ich, könnten wir …« – ihr Lächeln wuchs in die Breite – »… uns noch mal darüber unterhalten.«
Allyson sah zu, wie sich die Finger der Frau um den Schwertgriff schlossen. Eine beinahe sinnliche Geste, in der vage ein sexuelles Verlangen mitschwang. Allyson
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