Herrmann, Elisabeth
dem Chef?«
Sie riss einen
halben Meter Klebeband ab und trennte es, weil sie Kai nicht um das
Teppichmesser bitten wollte, mit den Zähnen von der Rolle ab.
»Dass du
ein Vollidiot bist.«
»Warum das
denn?«
Judith
hatte keine Lust, ihm auch das noch zu erklären. Sie schlug die Folie über der
Matratze zusammen, und das Klebeband verhedderte sich. Kai ging neben ihr in
die Hocke und bändigte die Plastikplane mit zwei Griffen.
»Sorry«,
sagte er. »Wird nicht wieder vorkommen.«
Wütend
riss sie noch ein Stück Klebeband ab und hielt es ihm entgegen. Er schnitt es
durch. Die nächsten Minuten arbeiteten sie schweigend.
Judith
geriet ins Schwitzen. Das Versiegeln einer Matratze, auch wenn sie zu einem
Einzelbett gehörte, war bei diesem Wetter keine leichte Sache. Der Overall war
wie eine Sauna, und die Schutzmaske erleichterte das Atmen auch nicht gerade.
»Ich hab
eigentlich gemeint, du bist doch eine Frau.«
»Was hat
das damit zu tun?«
»Was sagst
du denn den Kerlen, wenn dich einer fragt, was du machst?«
»Kommt
darauf an, ob ich ihn loswerden will oder nicht.«
Sie
erkannte an seinen Augen, dass er lächelte. Machte sich wahrscheinlich
Hoffnung, dass alles doch gar nicht so schlimm war.
Sie drehte
die Matratze, damit Kai das Klebeband einmal um alle Seiten herum abrollen
konnte. Das Band riss, die Folie rutschte ihr unter den Händen weg, und die
Matratze fuhr quer über den Nachttisch und räumte alles ab, was darauf
gestanden hatte. Glas klirrte. Judith unterdrückte einen Fluch. Es gab ein Gesetz,
das nicht gebrochen werden durfte: Eine Wohnung war sauber, aber unversehrt zu
verlassen. Kai bückte sich.
»Nur ein
Bilderrahmen. Und die Glühbirne von der Lampe.«
»Stell sie
wieder hin.«
Sie nahm
ihm den Rahmen ab. Das Glas war gesprungen. Dahinter eingeklemmt das Foto eines
ungefähr dreißigjährigen Mannes. Die verblassenden Farben verrieten, dass die
Aufnahme mindestens zwei Jahrzehnte alt sein musste. Vorsichtig zog sie die
Scherben aus dem Holz und stellte den Rahmen wieder auf den Nachttisch.
»Was
machen Sie denn da?«
Judith
fuhr herum. Sie hatte den Mann nicht kommen hören, aber der Tonfall seiner
Stimme und der erste Eindruck passten zueinander. Er war schmächtig, fast
ausgezehrt, und die ungesunde rote Gesichtsfarbe verriet, dass er sich entweder
mit dem Aufstieg übernommen hatte oder Alkoholiker war. Ein Blick in seine
gelblichen Augen genügte Judith, um der zweiten Annahme die höhere
Wahrscheinlichkeit einzuräumen. Sie entdeckte eine vage, fast karikaturhafte
Ähnlichkeit mit dem Mann auf dem Foto.
»Guten
Tag. Wir sind beauftragt, die Wohnung zu entwesen.«
»Was?«
»Ent-wesen.
Das Gegenteil von Ver-wesen.«
»Also von
mir nicht. Verschwinden Sie.«
»Nach dem
Bundesseuchengesetz muss diese Wohnung ordnungsgemäß gesäubert und
desinfiziert werden. Ich weiß nicht, ob Sie die nötige Qualifikation dafür
besitzen.«
»Ich zahle
nicht. Damit Sie das gleich wissen. Was haben Sie da am Nachttisch meiner
Mutter gemacht? Ich hab genau gesehen, wie Sie da dran waren.«
Sein Blick
irrlichterte durch den Raum, blieb schließlich an der verpackten Matratze
hängen.
»Und die
lassen Sie hier. Hier wird nichts angefasst, verstanden? Ich ruf sonst die
Polizei.«
»Ihre
Mutter war das, die sechs Wochen hier gelegen hat?« Judith streifte die
Gummihandschuhe ab. »Mein Beileid.«
»Raus
hier. Sofort.«
Kai machte
einen Schritt auf den Mann zu. Judith griff nach seinem Arm, ließ ihn aber
sofort wieder los.
»Nein. Sie
gehen«, sagte sie. Ihre Hand erinnerte sich noch an den Griff, doch ihr Kopf
schaltete den Gedanken an Berührung aus. »Ich kann Ihnen nicht gestatten
hierzubleiben, solange wir nicht fertig sind.«
Mit
Widerspruch hatte der Mann nicht gerechnet. Erst jetzt fiel ihm die veränderte
Chemie im Raum auf. Er zog Luft durch die Nase ein. Sein Gesichtsausdruck
machte in erstaunlicher Wandlungsfähigkeit deutlich, was er dabei empfand:
Überraschung, Erkennen, Ekel.
»Was ist
los?«
»Die
Leiche Ihrer Mutter wurde vor zwei Stunden abgeholt. Das Beerdigungsunternehmen
wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Sie sehen nicht so aus, als ob Sie
eine lange Reise hinter sich hätten. Also hören Sie auf, den besorgten Sohn zu
spielen, und lassen Sie uns unsere Arbeit tun.«
»Sie ist
tot«, wiederholte der Mann. »Die Leute nebenan haben das gesagt.«
Er drehte
sich um und ging hinaus. Eine Weile hörten sie ihn leise schluchzen.
Judith
wies Kai an, die
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