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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Facility Management war, die die Sache mit dem Wecker verstand. Sie
hatte vier. Verteilt an strategisch wichtigen, weil schwer zu erreichenden
Punkten in ihrer Wohnung und so programmiert, dass sie im Abstand von jeweils
einer Minute klingelten. Der letzte stand im Bad. »Nimm es.«
    Aber Kai
begriff entweder nicht, oder er hielt Mentholpaste für Kinderkram. Seine
Entscheidung. Judith gab dem Bestattungshelfer die Dose zurück. Er schenkte
ihr ein knappes Nicken und zündete sich eine Zigarette an, während er mit einem
Blick den Himmel dieses Sommertages prüfte, der sich gerade von seinem
dunstigen Morgen löste.
    »Sechs
Wochen unterm Dach, und das bei dem Wetter. Wir sind froh, dass wir sie in
einem Stück in die Kiste bekommen haben.«
    Sie
kannten sich. Nicht gut genug, um zu wissen, wie der andere hieß. Aber so, wie
man alle irgendwann kennenlernte, die in diesem merkwürdigen Gewerbe
arbeiteten: der Verwaltung des Todes. Jeder war an seinem Platz. Der Arzt, der
den Totenschein ausstellte. Die Bestatter, die die Leiche abholten und herrichteten.
Die Cleaner, die ein Haus wieder bewohnbar machten. Man redete in einer
zweckorientierten Sprache miteinander, die auf alle falschen Zwischentöne des
Jammers verzichtete und sich aufs Wesentliche konzentrierte: den Job.
    Kai wurde
noch blasser, als er es schon war. Darauf hatte ihn die nette Sachbearbeiterin
auf dem Amt wohl nicht vorbereitet. Gebäudereinigung. Putzen. Kann doch jeder.
Geh mal hin und schau es dir an. Und dann das, gleich am ersten Tag. Polternde
Schritte näherten sich. Der Arzt, erkennbar an der beflissenen Eile und einer
ausgebeulten Ledertasche, kam die Treppe herunter. Ihm folgten zwei
Bereitschaftspolizisten.
    »Wir sind
fertig da oben.« Wie so viele seiner Zunft redete er von sich in der Mehrzahl.
»Natürliche Todesursache, sanft entschlafen. Mein Gott.«
    Zwei LKW
donnerten vorbei. Der Arzt trat auf den breiten Bürgersteig und zog die Melange
aus Ammoniak und Diesel tief in seine Lungen. Dann schüttelte er den Kopf und
eilte zu seinem Wagen. Die beiden Beamten folgten ihm. Der Bestatter rauchte.
    »Dann mal
los.« Judith machte eine Kopfbewegung, mit der man Hunde bei Regen ins Haus
trieb. Kai trottete hinterher.
    Sie
stiegen die Treppen hoch. Kinderwagen standen im Flur, Schuhe, Gerumpel. Mit
jedem Stockwerk entfernten sie sich mehr vom Straßenlärm und kamen dem
Vergessen näher. Ganz oben waren es nur noch zwei Türen. Eine stand offen.
Trotz Menthol roch Judith die schwere, süßliche Ahnung des Todes. Sechs Wochen,
hatte der Mann gesagt. Und das Einzige, was den Nachbarn irgendwann aufgefallen
war, war der Gestank.
    Kai
keuchte.
    »Was
riecht hier so?«, fragte er und ahnte die Antwort bereits.
    Judith
hatte nicht vor, ihn zu schonen. Wer mit ihr unterwegs war, musste sich darauf
gefasst machen, mehr über seine eigenen Grenzen zu erfahren, als ihm lieb war.
Das Gesundheitsamt hatte Dombrowski angerufen. Und Dombrowski schickte Judith.
Und Judith nahm eben keine Rücksicht auf Anfänger.
    »Hier
lang.«
    Ein enger
Flur mit abgetretenem Läufer, alter Tapete, trotz Hochsommer Wintermäntel an
der Garderobe. Vier offene Türen. Links das Wohnzimmer. Der erste Eindruck Enge
und Armut. Sie hatten das Leben von Gerlinde Wachsmuth bestimmt.
    Und die
Einsamkeit, dachte Judith, als sie das Schlafzimmer betrat. Über dem schmalen
Bett hing ein schlichtes Holzkreuz. Der zweite Bestattungshelfer verschloss
gerade den Zinksarg und tat das mit ganz besonderer Sorgfalt. Auch das Treppenhaus
war eng, sie würden die Leiche an manchen Stellen hochkant transportieren
müssen. Sein Kollege kam vom Rauchen zurück. Beide stellten sich neben den
Sarg, falteten die Hände und murmelten ein leises Gebet.
    Judith
fragte sich, ob sie das auch taten, wenn keine Zeugen in der Nähe waren. Sie
wollte Kai gerade ein Zeichen geben, dass auch er sich der Situation gemäß
pietätvoll zu verhalten hatte, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. Er
starrte an ihr vorbei auf das Bett. Seine Unterlippe begann zu zittern. Er
schluckte krampfhaft, der Adamsapfel hüpfte seinen kräftigen Hals entlang wie
ein Gummiball. Er schlug die Hand vor den Mund, drehte sich um und taumelte aus
dem Zimmer.
    »Sein
erstes Mal?«
    Die beiden
hatten ihr Gebet beendet. Judith nickte. Sie sah auf ihre Armbanduhr und
hoffte, Kai würde sich mit dem Kotzen beeilen. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren.
Aber die Geräusche, die aus dem Badezimmer drangen, hörten sich mehr

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