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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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und ein altes, aber sauberes T-Shirt. Mit der
Tasche in der Hand ging sie zurück zu ihrem Spind.
    »Meine
Judith.«
    Sie
brauchte einen Moment, um zu erfassen, was diese beiden Worte bedeuteten.
Dombrowski hatte sich auf seinen leisen Kreppsohlen angeschlichen. Sein pralles
Gesicht leuchtete vor falscher Wiedersehensfreude, die grauen Locken kräuselten
sich wie nasse Spinnweben über seiner hohen Stirn. Er sah aus wie ein frisch
gebadeter Buddha, auch wenn er im Gegensatz zu ihr nicht aus der Dusche kam,
sondern aus einem Büro ohne Klimaanlage.
    Nein,
dachte sie. Einfach nein. Er hob die Arme, als wolle sich entschuldigen.
    »Wir haben
einen Kaltsteher.«
     
    *
     
    Quirin
Kaiserley verließ mit seinem vierzehn Jahre alten Golf GTI die Autobahn in
Adlershof und hielt zu auf die leuchtende Stadt aus Glas und Gedanken. Schon an
der ersten Ampel verlor er die Orientierung. Fluchend wendete er und versuchte
sein Glück in der anderen Richtung. Er dachte daran, dass am Kölner Dom über
sechshundert Jahre lang gebaut worden war und die Menschen Zeit gehabt hatten,
sich an seinen Anblick zu gewöhnen. Berlin aber riss ganze Städte so schnell
hoch, dass man manchmal an eine Fata Morgana glaubte. Er sah nervös auf die
Armbanduhr. Gleich sechs. Seine Unruhe und Ungeduld stiegen.
    Vor ihm
tauchten Gebäude auf, in denen Teilchenbeschleuniger und Satellitensysteme
entwickelt wurden. Quirin erinnerte sich flüchtig an einen Besuch vor über
zwanzig Jahren. Damals hatte kein Mensch an einen Wissenschafts- und
Technologiecluster gedacht. Adlershof hatte einen abweisenden, verschlossenen
Eindruck gemacht. Staatsrundfunk der DDR. Munitionslagerplatz des
Wachregiments Feliks Dzierzynski. Früher Reichsrundfunk und aerodynamische
Versuchsanstalt. Graue Baracken, holperige Wege. Konspiratives Treffen zwischen
CIA und BND. Sondierungsgespräche. Begegnung auf neutralem Boden.
Informationsaustausch. Truppenabzug. Logistik. Die Welt hatte sich verändert
seitdem. Die Menschen nicht.
    Quirin
folgte den Wegweisern bis zur AMC, der Adlershof Media City. Er stellte den
Motor ab, stieg aber nicht aus. Er atmete tief durch. Das war kein
Lampenfieber. Dafür hatte er schon zu oft in den Kunstledersesseln im
Scheinwerferlicht gesessen und die Rolle des Geheimdienstexperten mit an
Routine grenzender Sicherheit gemeistert. Es war die gespannte Erwartung, die
er kaum noch zügeln konnte. Es war so weit.
    Quirin
verstellte den Rückspiegel so, dass er sein Gesicht sehen konnte. Seine Augen
sahen müde aus, ein Kranz von Falten hatte sich um sie gelegt. Ihr Blau konnte
mit dem strahlenden Sommerhimmel nicht mithalten. Fünfundzwanzig Jahre auf der
Jagd hatten Spuren hinterlassen. Fast die Hälfte seines Lebens hatte er damit
verbracht, nach einem Phantom zu suchen. Das hatte ihn den Job gekostet, die
Familie, die Freunde. Er sah sich noch einmal vor dem eisernen Schiebetor im
Münchner Vorort Pullach stehen. In seiner Hand ein Dienstzeugnis, ausgestellt
von der »Bundesvermögensverwaltung München« für zehn Jahre festangestellte
Tätigkeit in der Außenstelle Sondervermögen. Trennung in gegenseitigem
Einverständnis. Kaum das Papier wert, auf das es geschrieben war. Ein Netz aus
Lügen bis zum Schluss. In dieser Hinsicht war auf den BND Verlass.
    Quirin
griff nach dem Aktenkoffer auf dem Beifahrersitz, verließ den Wagen, ohne ihn
abzuschließen - mit diesem Schrotthaufen würde er bei einem Diebstahl noch
Gewinn machen -, eilte über den Parkplatz und ging dann langsam die Vortreppe
zu dem Studiokomplex hinauf. Der Pförtner kannte ihn und hielt ihm einen
bereits ausgefüllten Besucherausweis entgegen. Die Sitzgruppe im Foyer war
leer.
    »Hat
jemand nach mir gefragt?«
    Der Mann
war ein Fossil aus der Ära des Staatsrundfunks, der Zeiten und Systeme überlebt
hatte, weil ihn sein grauer Baumwollkittel beinahe unsichtbar machen konnte. Er
schob die Lesebrille auf dem Nasenrücken zurecht und studierte in enervierender
Gründlichkeit das Besucherbuch.
    »Nein.«
    »Oder
etwas abgegeben?«
    Absurd.
Niemand würde Material von solcher Brisanz ausgerechnet einem frustrierten
Studiopförtner in die Hand drücken. Der Mann stand mühsam auf und ging zu
einem leeren Holzregal, das er so nachdenklich betrachtete, als sähe er es zum
ersten Mal. »Nein.«
    Quirin
nickte und ging auf die Sitzgruppe zu, stellte aber nur seinen Aktenkoffer
daneben auf den Boden. Er ging auf und ab und behielt den Eingang im Auge. Sie
würde kommen. Sie musste kommen.

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