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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Schwung einer Marionette gegen die nächste Hauswand geprallt. Seine rechte Gesichtshälfte drückte eine Mischung aus Entspanntheit und Überraschung aus, die linke Gesichtshälfte flog gerade als Hackfleisch davon. Der Schwarze war nicht zu sehen. Der Verfolger, der am nächsten an Carl herangekommen war, Julius, lag zwei Meter hinter ihm im Sand, die leblose Hand wie nach Carls Fuß ausgestreckt. An seinem Mund kirschrot eine Blutblase.
    Unpassend zum Standbild lief die Tonspur weiter: Maschinengewehrsalve, Schüsse aus einem Kleinkaliber, Schreie. Eine Neun-Millimeter. Breites Amerikanisch. Zwei Uniformierte rissen Carl hoch und schleiften ihn zu einem grünen Jeep Wagoneer. Oder er lief ihnen hinterher, so genau nahm er das nicht mehr wahr. Er kam zu sich, während er auf das eingestanzte Karomuster einer Gummimatte zwischen seinen Füßen starrte. Die Gummimatte lag zwischen Fahrersitz und Rückbank des Jeeps. Auf dem Karomuster: Sand, Papierkügelchen, Haare und ein festgeklebter Kaugummi. Und seine eigenen Füße.
    Sand und Papierkügelchen hopsten und sprangen im Rhythmus des Jeeps. Eine Hand in Carls Nacken verhinderte, dass er den Kopf hob. Die Hand gehörte einem der Uniformierten, einem Mann mit bräunlichem, fast olivfarbenem Teint und der Statur eines Kleiderschranks. Er sprach zwei Sätze Arabisch mit Carl, Hocharabisch, leicht syrischer Einschlag. Der andere Uniformierte, der Amerikanisch gesprochen hatte, saß auf dem Beifahrersitz und schien das Kommando zu haben. Vier Sterne auf den Schulterklappen: War das wirklich Militär? War das nicht einer der Musiker von Marshal Mellow? Der Bassist?
    Den Fahrer konnte Carl als Einzigen nicht sehen. Er bemerkte nur zwischen den Sitzen hindurch, dass der keine Uniform trug, sondern gestreifte Hosen. Eine mädchenhaft schmale, behandschuhte Hand lag auf der Gangschaltung. Ein unbehaartes Handgelenk … in seiner Einfältigkeit glaubte Carl für eine Sekunde, es sei Helen, die gekommen war, ihn zu retten.
    Der Beifahrer brüllte. Der Syrer drückte Carls Kopf tiefer nach unten, der Jeep legte sich in die Kurven.
    «Alles klar?»
    «Hast du ihn?»
    «Bist du verletzt?»
    «Hast du ihn?»
    «Ich hab ihn.»
    «Bei dir alles klar?»
    «Ja. Und bei euch?»
    «Yep.»
    «Jemand hinter uns?»
    «Alle tot.»
    «Ich hab gesagt: Jemand hinter uns?»
    «Nein.»
    «Sicher?»
    «Ich hab sie alle erwischt.»
    «Sind Sie verletzt?»
    «Wer, ich?», fragte Carl. «Ob Sie verletzt sind?»
    «Nein.»
    «Da vorne rechts.»
    «Wer sind Sie?»
    «Da kommt eine Brücke, hinter der Brücke noch mal rechts.»
    «Wer sind Sie?»
    «Fahr langsamer.»
    «Wohin fahren wir?»
    Carl versuchte, den Kopf zu heben. Der Syrer drückte ihm die Hand fester in den Nacken und sagte einen Spruch zum Thema Sicherheit auf. Carl fügte sich, obgleich nicht so recht klar war, warum er als Einziger geduckt im Wagen saß. Fahrer und Beifahrer, das konnte er zwischen den Sitzen hindurch erkennen, saßen aufrecht, und auch der Syrer, der mit halbem Körper über ihm hing, befand sich nicht in Deckung. Offenbar war sein Leben wichtiger als ihres.
    Erst jetzt, Minuten nach seiner Rettung, spürte er den kribbelnden Auflösungsprozess in seinen Knochen und wie die überstandene Todesangst seinen Körper verflüssigt hatte. Mit einem hysterischen Aufschluchzen und in einem Tonfall, der ihm selbst jämmerlich vorkam, dankte er seinen Rettern. Sie gingen nicht darauf ein.
    «Da links?»
    «Ja, da links, würd ich sagen.»
    «Und die breite Straße da?»
    «Ist falsch, glaub ich.»
    «Glaubst du?»
    «Neunzig Prozent.»
    «Dann fahr ich links.»
    «Da ist die Synagoge.»
    «Das ist eine andere Synagoge.»
    «Und wenn ich einfach rechts abbieg?»
    «Nein.»
    «Sagst du nein?»
    «Würd ich auch sagen.»
    «Würdest du auch sagen?»
    «Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind?»
    «Bleiben Sie ruhig.» Das kam von vorn.
    Als Carl erneut versuchte, den Kopf zu heben, drehte der Syrer ihm einen Arm auf den Rücken. Er wehrte sich und bekam zuerst einen Schlag gegen die Rippen, dann spürte er, wie seine Hände hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt wurden.
    «Macht er Schwierigkeiten?»
    «Sekunde.»
    «Schaffst du das?»
    «Klar schaff ich das.»
    «Wenn er Schwierigkeiten macht, die Spritze ist hinten auf der Ablage.»
    «Die ist vorhin zerbrochen. Egal, er macht keine Schwierigkeiten.»
    «Er soll nicht schreien.»
    «Er schreit ja nicht.»
    «Wenn er schreit, stopf ihm was in den Mund.»
    «Was soll das?»,

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