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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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rief Carl.
    Der Syrer presste ihm ein zusammengeknülltes Taschentuch aufs Gesicht und versuchte, es ihm in den Mund zu schieben. Carl drehte den Kopf hin und her. «Ich sag ja nichts», sagte er durch die zusammengebissenen Zähne.
    «Ruhig, ganz ruhig», murmelte der Fahrer mit einer Stimme, die Carl vage bekannt vorkam.
    Er dachte kurz nach und sagte dann zum Fahrersitz: «Ich kenne Sie.»
    «War ja auch komisch, wenn nicht. War ja keine anterograde Amnesie. Und jetzt bleiben Sie ruhig.»
    «Sie sind das? Warum machen Sie das? Was wollen Sie?»
    «Ruhig.»
    «Was wollen Sie von mir?»
    «Was wollen Sie von mir?», äffte der Beifahrer ihn mit alberner Stimme nach.
    «Ruhig, hab ich gesagt.»
    «Ich weiß nicht, was das soll?»
    «Okay», sagte Dr. Cockcroft. «Stopf ihm den Mund.»
    «Ich krieg das nicht rein. Er beißt die Zähne zusammen.»
    «Er soll da nicht rumzappeln.»
    «Aber ich krieg es nicht rein.»
    «Dann lass es, solange er still ist. Sind Sie jetzt still? Oder wollen Sie weiterquatschen?» Dr. Cockcroft machte ein paar Lenkbewegungen, die Carl den Kopf hin und her schütteln ließen.
    Er schwieg und konzentrierte sich auf die Geräusche draußen.
    Trotz der Hitze waren alle Fenster geschlossen. Gedämpfter Verkehrslärm der Hauptstraße, vorüberziehende Musik, Schreie eines Wasserverkäufers. Pferdegetrappel. Beim Halt an einer Kreuzung das Stimmengesumm vieler Menschen, dazu besonders kräftig die Hand des Syrers im Nacken.
    Irgendwann erkundigte der Syrer sich, wie lange es noch dauern werde, und der Beifahrer nuschelte etwas. Carl sah von unten sein kantiges Kinn und war nun vollkommen überzeugt davon, dass es der Bassist war.
    «Ungefähr», sagte der Syrer.
    «Etwa eine Stunde, um aus der Stadt zu kommen. Dann noch knapp zwei. Und wenn der Weg vor der Mine aufhört, brauchen wir vielleicht die ganze Nacht.»
    «Es ist gleich Zeit für das Maghrib.»
    Niemand erwiderte etwas auf diese Feststellung, und der Syrer ergänzte: «Wir müssen dann kurz halten.»
    Ein paar Straßenzüge lang fuhren sie schweigend. Dann wieder der Syrer: «Wenn die Sonne untergegangen ist. Dann müssen wir kurz halten.»
    «Du hast sie wohl nicht mehr alle.» Der Bassist. «Sieh zu, dass du deinen Job machst.»
    «Das geht nicht.»
    «Was geht nicht?»
    «Dann steige ich aus.»
    «Was?»
    «Wenn ich nicht beten kann, steige ich aus.»
    «Dann bete doch.»
    «Ihr müsst anhalten.»
    «Bist du irre, Mann? Mitten in der Stadt, mit einer Geisel hintendrin, die nicht mal einen Knebel im Mund hat, nur damit du Vogel beten kannst?»
    «Ich kann ihm was reinstopfen.»
    «Bete gefälligst im Auto.»
    «Das ist nicht statthaft.»
    «Natürlich ist das statthaft. Jetzt halt die Klappe.»
    «Ah», sagte der Syrer mit deutlich erzwungener Selbstgewissheit. «So ist das also. Ich soll die Klappe halten.» Er kramte mit einer Hand in der Tasche und streckte den Arm nach vorn. «Dann steig ich jetzt aus. Die hundert und die zwanzig. Halt an.»
    «Behalt das Scheißgeld, du kannst jetzt nicht hinschmeißen.»
    «Und ob ich das kann.»
    «Du kannst auf der Rückbank beten. Leier deinen Text runter, buckel da rum und nerv nicht.»
    «Das funktioniert nicht. Selbst wenn ich wollte. Siehst du nicht, wo wir hinfahren?»
    «Genau dahin, wo wir hinwollen.»
    «Wir fahren nach Westen. Mekka ist –»
    «Großer Gott, nach Westen! Dann bete halt nach Westen», blaffte der Bassist. «Die Erde ist schließlich rund.»
    «Das muss ich mir nicht bieten lassen.» Angestrengte Pause. «Das ist eine Unverschämtheit.»
    «Was ist eine Unverschämtheit? Dass die Erde rund ist?»
    «Halt an.»
    «Fahr weiter.»
    Während des Wortwechsels spürte Carl den Druck der Hand in seinem Nacken schwinden. Er hob vorsichtig den Kopf und sah hinaus. Die Häuser der Ville Nouvelle.
    Schreiend fuhr der Bassist herum und hämmerte mit dem Griff der Waffe auf Carls Kopf. «Mach. Deinen. Job.»
    «Dann haltet an. Wenn ich nicht beten kann, steig ich aus.»
    «Willst du mehr Geld?»
    «Eure ganze Beschränktheit.»
    «Was?»
    «Ich sagte: eure ganze Beschränktheit.»
    «Was ist damit?»
    «Eure jüdische Wertschätzung des Geldes! Ihr denkt, mit Geld könnt ihr alles regeln! Geld, Geld, Geld.»
    «Du kannst gern umsonst für uns arbeiten.»
    «Ich habe noch keinen Ami getroffen, der anders war. Alles, was für euch zählt, ist der Mammon. Ihr betet nicht, ihr kennt nicht die fünf Säulen, euer Seelenheil ist –»
    «Fünf Säulen, erzähl doch keinen Mist.»
    «Es

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