Herrscher der Eisenzeit
wenig mit den Fingern von der Haut wegzuziehen. Heute Abend wird er wieder wund sein, und Mutter wird ihn traurig ansehen und schnell versuchen, seine Hose zu waschen. Wahrscheinlich wird sie morgen früh immer noch etwas klamm sein …
Die keltischen Sprachen sind bis heute einem Kampf der Extreme ausgesetzt. Dabei ist im Laufe der Zeit ein Wandel eingetreten. Wurde die Sprache im Schottland des 19. Jahrhunderts noch aktiv unterdrückt, findet die Verdrängung heute schleichend statt. Die ursprünglichen keltischen Gebiete, die Highlands und vor allem die letzten Hochburgen des schottischen Gälisch, die westlichen Inseln, haben Jugendlichen nichts mehr zu bieten. Auf der anderen Seite sind in Stornoway, Glasgow und Inverness staatlich geförderte Zentren der gälischen Kultur entstanden. Glasgow hat darüber hinaus die größte Gälisch sprechende Kommune mit 10
000 Sprechern (fast 20 Prozent aller Gälischsprecher Schottlands). Doch allein der Stellenwert, den das Unterrichtsfach »Gälisch« hat, zeigt eine deutliche Tendenz. Man wählt es als Prüfungsfach, weil die Anforderungen so gering sind, dass man nicht durchfallen kann . Wirklich sprechen kann es kaum einer der Absolventen.
Im englisch regierten Irland wird Gälisch ab dem 16. und 17. Jahrhundert durch die protestantischen Siedler aus England zur Sprache der armen Landbevölkerung im Westen der Insel. Wenig hilfreich ist zudem, dass sich große Verfechter der irischen Nation gegen die Vielsprachigkeit aussprechen. Daniel O’Connell, ein wohlhabender Landbesitzer und selbst erklärter Verfechter der im Jahre 1800/01 durch den »Act of Union« verlustig gegangenen irischen Unabhängigkeit von England, hat den Status eines Nationalhelden, da er sich offen gegen die Engländer stellt und irische Selbstbestimmung fordert. Obwohl er es perfekt beherrscht, verwendet er Gälisch nur im Umgang mit seinen eigenen Angestellten (die kein Englisch können) oder gelegentlich auf öffentlichen Veranstaltungen, um die englische Polizei zu ärgern (die wiederum kein Gälisch versteht). Während der Hungersnöte in den 1840er-Jahren geht die gälische Sprache fast völlig unter.
Mit der Unabhängigkeit Irlands im Jahr 1922 muss ein Symbol her, mit dem man sich deutlich von Großbritannien abgrenzen kann. Gälisch wird erste Amtssprache. Jedes offizielle Dokument muss mindestens zweisprachig sein. Wer in den öffentlichen Dienst will, muss Gälisch beherrschen. Tausende von Beamten durchstreifen die Lande, um jeder Straße einen gälischen Namen zu verabreichen (was vor allem in Dublin, einer protestantisch und damit englischsprachig dominierten Stadt, auf arges Befremden stößt). Gälisch wird Pflichtfach an den Schulen; dementsprechend hoch ist die Motivation der Schüler (vergleichbar mit der Motivation der Schüler an den Schulen der ehemaligen DDR, Russisch zu lernen). Seit Irlands Beitritt zur Europäischen Union im Jahre 1972 muss jedes EU-Dokument auch in Gälisch abgefasst werden. In Westirland werden ab Mitte der 1990er-Jahre aus den Gaeltachts, den rein gälischsprachigen Gebieten, staatlich geförderte Wirtschaftszentren: Es entstehen hochkarätige Technical Colleges und Business Schools; die Infrastruktur speziell im Bereich der IT wird ausgebaut, ausländische Unternehmen erhalten über Fördermittel und Steuervergünstigungen Anreize, sich in diesen Gebieten anzusiedeln und Menschen aus der Region zu beschäftigen. Einzige formelle Bedingung: Sie müssen über zweisprachige Briefbögen und gälischsprachige Ausschilderungen im Unternehmen ihre Verbundenheit mit der Sprache demonstrieren. Jede Bemühung darüber hinaus ist willkommen und wird unterstützt.
Diese Entwicklung bringt der irischen Wirtschaft den Namen »Celtic Tiger« ein. Und der Tiger hat Hunger. Seine Nahrung: Mitall den fremden Einflüssen, die über die ausländischen Unternehmen ins Land kommen, frisst er den ursprünglichen Charakter der gälischsprachigen Gebiete. Die Gaeltacht wird international.
Nur eine Gaeltacht ist aus sich heraus gewachsen und authentisch geblieben. In Belfast wurde in der ständigen Auseinandersetzung zwischen ursprünglich schottischen Protestanten und ursprünglich irischen Katholiken die Sprache zum Mittel der Identifikation. Die Wandmalereien der IRA sind in Gälisch, in den katholischen Vierteln existieren viele kleine Klubs und Schulen, in denen die Menschen Gälisch lernen, in der Stadt sind viele Vereine und Gesellschaften zur Förderung und
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