Herrscher der Eisenzeit
über die zu sprechen, die einem helfen, einen Kolonialkrieg zu führen? Im Gegenteil, man findet plötzlich, dass diese Volksstämme aus europäischer Sicht zwar auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehen, aber doch etliche Eigenschaften in sich vereinigen, die eine Wertschätzung verdienen. Sie haben eine stolze, hoch organisierte Kultur mit eigener Sprache, sie sind loyal bis in den Tod und ausgesprochen gute Kämpfer. Auf einmal gelten sie als Idealmenschen, die »Unschuldigen«. Verbreitung findet dieses Bild letztlich vor allem durch Jean-Jacques Rousseau. Zu unterwerfende oder unterworfene Völker sind zwar politisch und wirtschaftlich unterlegen, aber nicht durch die Erbsünde belastet. Diese Feststellung des Status quo wird jedoch keineswegs als Aufforderung verstanden, in irgendeiner Form eine Gleichberechtigung herzustellen. Eine bequeme Philosophie, die bald in Mode kommt. Es ist schick, hochachtungsvoll über »edle Wilde« zu reden, ohne dabei Verpflichtungen eingehen zu müssen.
So richtig interessant werden die »edlen Wilden«, als man entdeckt, dass man sie eigentlich direkt vor der Haustür findet. Denn was anderes sind zum Beispiel die Highländer mit ihrer lustigenTracht und ihrer unverständlichen Sprache? Letztere genießen das Interesse höchster Kreise, denn Queen Victoria entdeckt ihr Herz für alles Schottische.
Das Bild vom »edlen Wilden« bietet exzellenten Stoff für Schriftsteller und Poeten. Sir Walter Scott beschreibt den »edlen Gälen« in seinen Werken »Rob Roy« und »Waverley«. William Butler Yeats, Begründer des irischen Nationaltheaters und selbst ernannter »Berufskelte«, bildet schließlich den Höhepunkt der Romantisierung der Kelten. Als Kind besucht der gebürtige Dubliner häufig Verwandte in der irischen Grafschaft Sligo und ist fasziniert von dem Reichtum an Sagen und Geschichten. Als junger Mann von 23 Jahren veröffentlicht er seine »Folk and Fairy Tales of Ireland«. Seine Dichtungen zeichnen ein Bild, das eine mystische, geheimnisvolle, magische keltische Gesellschaft verherrlicht, idealisiert, in ein verklärtes, sanftes Licht taucht, das menschliche Gemeinschaft und die Welt der Feen und Kobolde ineinanderfließen lässt. Eine Gesellschaft, in der sich jeder seiner Leser in seine eigene Heldenrolle träumen kann.
Bereits 1760, etwa 100 Jahre vor Yeats’ Geburt, erscheint das Werk Fragments of Ancient Poetry Collected in the Highlands of Scotland and Translated from the Gaelic or Erse Language , veröffentlicht von dem Schotten James Macpherson. Eine Sensation, denn diese Texte, die laut Macpherson die im Mittelalter niedergeschriebenen Erzählungen des Barden Oisin aus dem 5. oder 6. Jahrhundert darstellen, sind eine Offenbarung hinsichtlich der keltischen Kriegergesellschaft. In den Folgejahren tauchen weitere Fragmente auf, und das Werk, welches als Ossian’scher Sagenkreis in die Literaturwissenschaft Einzug hält, feiert Bestsellererfolge. Bis 1800 wird das Buch fast jährlich neu aufgelegt. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto häufiger tauchen allerdings auch logische Brüche auf. Jedoch werden die meist damit erklärt (so zum Beispiel von T. W. Rolleston, einem Zeitgenossen und Berufskollegen von Yeats), dass die Niederschrift in einer Zeit erfolgte, in der man nicht das notwendige Verständnis für die gesellschaftlichen Verhältnisse der alten Keltenhatte. 1763 und 1765 erscheinen kritische Analysen des Ossian , eine davon sogar als Doktorarbeit, doch werden die am Ende sogar mit veröffentlicht, was die Attraktivität des Buches noch steigert. Diese Marketingstrategie funktioniert bestens. Und so wird der Ossian’sche Sagenkreis weiter publiziert, analysiert, interpretiert, und das von namhaften Wissenschaftlern.
Wieso ist eigentlich niemand auf die Idee gekommen, Herrn Macpherson die schlichte Frage zu stellen, wo sich denn das keltische Manuskript befinde, von dem er die Übersetzung angefertigt hat? Erst 1952 (!) wird festgestellt, dass ihm ein genialer Coup gelungen ist: Es steht zwar außer Frage, dass er sich intensiv mit keltischen Sagen beschäftigt hat, doch die Erzählungen des Ossian sind schlichtweg eine Fälschung.
Vielleicht hätte man bereits 1761 auf Horace Walpole, jüngster Sohn des britischen Premierministers Robert Walpole hören sollen, der schon ein Jahr nach der Erstveröffentlichung Zweifel an der Echtheit des Ossian geäußert hatte. Dabei war Walpole nicht einmal Literaturwissenschaftler. Er stellte
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