Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
Sie betrachtete das Blatt Papier und runzelte die Stirn. »Ergibt das irgendeinen Sinn?«
Spuki schüttelte seine Benommenheit ab. Auf dem Papier befand sich ein Wirrwarr aus Strichen und Anmerkungen. Bereits das hätte es sehr schwer verständlich gemacht, doch es gab einen weiteren Umstand, der alles noch unverständlicher machte.
»Es ist hauptsächlich im östlichen Dialekt geschrieben«, sagte Spuki.
»In der Sprache, mit der du aufgewachsen bist?«, fragte sie und betastete den Rand des Brettes, aber nicht die Schrift selbst, damit sie diese nicht verschmierte.
Spuki nickte.
»Sogar die Worte sind anders«, sagte sie. »Habende?«
»Das bedeutet ›hat gemacht‹«, erklärte Spuki. »Damit fängt man einen Satz an. ›Habende dattnitt‹ heißt, ›hat das nicht getan‹.«
»Habende funden datt«, las Beldre und lächelte in sich hinein. »Das klingt wie Kauderwelsch!«
»Habende wollende«, erwiderte Spuki lächelnd mit vollem Akzent. Dann errötete er und wandte sich ab.
»Was ist?«, fragte sie.
Warum benehme ich mich in ihrer Gegenwart jedes Mal so närrisch?, dachte er. Die anderen haben sich über meinen Dialekt immer lustig gemacht – sogar Kelsier hat ihn für dumm gehalten. Und nun rede ich vor ihr freiwillig so?
Er war zuversichtlich gewesen, als er seine Pläne studiert hatte, bevor sie gekommen war. Warum bewirkte das Mädchen andauernd, dass er aus seiner Anführerrolle herausfiel und wieder zu dem alten Spuki wurde? Zu dem Spuki, der nie wichtig gewesen war.
»Du solltest dich wegen deines Dialekts nicht schämen«, sagte Beldre. »Ich finde ihn sehr süß.«
»Du hast gerade gesagt, er sei Kauderwelsch«, wandte Spuki ein und drehte sich ihr wieder zu.
»Aber das ist doch das Tolle!«, sagte sie. »Es ist absichtliches Kauderwelsch, nicht wahr?«
Spuki erinnerte sich liebevoll daran, wie seine Eltern es aufgenommen hatten, als er sich den Dialekt angewöhnt hatte. Es war ein Gefühl der Macht gewesen, Dinge sagen zu können, die nur seine Freunde verstanden. Allerdings hatte er ihn so oft benutzt, dass es ihm irgendwann schwergefallen war, zur normalen Sprache zurückzuschalten.
»Was heißt es denn?«, fragte Beldre und betrachtete die Anmerkungen.
Spuki zögerte. »Das sind nur ein paar zusammenhangslose Gedanken«, sagte er. Sie war sein Feind – das durfte er nicht vergessen.
»Oh«, meinte sie nur. Ihr Gesicht nahm einen undeutbaren Ausdruck an, dann wandte sie den Blick von den Aufzeichnungen ab.
Ihr Bruder hat sie immer von seinen Besprechungen ferngehalten, dachte Spuki. Er hat ihr nie etwas Wichtiges gesagt. Er hat ihr das Gefühl gegeben, sie sei nutzlos …
»Ich muss deinen Bruder dazu bringen, dass er seine Allomantie vor den Menschen offenbart«, sagte Spuki plötzlich, ohne es zu wollen. »Sie müssen erkennen, dass er ein Heuchler ist.«
Beldre sah ihn an.
»Das Blatt ist voller Ideen dafür«, fuhr Spuki fort. »Die meisten sind nicht sehr gut. Ich neige dazu, ihn anzugreifen, so dass er sich verteidigen muss.«
»Das wird nicht funktionieren«, sagte Beldre.
»Warum nicht?«
»Er wird gegen dich keine Allomantie einsetzen. Er würde sich niemals bloßstellen.«
»Wenn ich ihn heftig genug bedrohe, wird er es tun.«
Beldre schüttelte den Kopf. »Du hast versprochen, ihm nichts anzutun. Erinnerst du dich noch daran?«
»Nein«, erwiderte Spuki und hob den Finger. »Ich habe dir versprochen, dass ich versuchen werde, einen anderen Weg zu finden. Außerdem habe ich nicht vor, ihn zu töten. Er muss nur glauben, dass ich ihn umbringen will.«
Beldre schwieg wieder. Sein Herz machte einen heftigen Sprung.
»Ich werde es nicht tun, Beldre«, sagte er. »Ich werde ihn nicht töten.«
»Versprichst du mir das?«
Spuki nickte.
Sie sah ihn an und lächelte. »Ich will ihm einen Brief schreiben. Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, dich anzuhören; dann brauchen wir deine Pläne möglicherweise gar nicht.«
»In Ordnung …«, meinte Spuki. »Aber es ist dir doch klar, dass ich den Brief vorher lesen muss, damit du nichts schreibst, was meine Lage gefährden könnte?«
Beldre nickte.
Natürlich würde er mehr tun, als den Brief nur zu lesen. Er würde ihn auf einem anderen Blatt Papier neu schreiben, die Zeilen umstellen und ein paar unwichtige Worte hinzufügen. Er hatte in so vielen Diebsmannschaften gearbeitet, dass er sich mit Geheimbotschaften gut auskannte. Doch vorausgesetzt, dass Beldre es ehrlich mit ihm meinte, war ein Brief an Quellion
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