Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
er nicht seine Armee und griff an? Marsch war vertraut mit der Geografie des Letzten Reiches und wusste daher, dass er im Norden in der Nähe von Terris stationiert war. Warum zogen sie nicht südwärts und griffen Luthadel an?
Es gab keine weiteren Inquisitoren in diesem Lager. Ruin hatte sie mit anderen Aufgaben betraut und Marsch allein gelassen. Von allen Inquisitoren besaß Marsch die größte Anzahl neuer Stacheln – es waren insgesamt zehn, die in verschiedene Teile seines Körpers eingepflanzt waren. Das machte ihn scheinbar zum mächtigsten aller Inquisitoren. Warum war ausgerechnet er hier zurückgelassen worden?
Aber … was macht es schon aus?, fragte er sich. Das Ende ist da. Es gibt keine Möglichkeit, Ruin zu besiegen. Die Welt wird untergehen.
Bei diesem Gedanken fühlte er sich schuldig. Wenn er die Augen vor Scham hätte senken können, dann hätte er es getan. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er die gesamte Skaa-Rebellion angeführt hatte. Tausende hatten zu ihm als ihrem Führer aufgesehen. Und dann … dann war Kelsier gefangen genommen worden. So wie auch Mare, die Frau, die sowohl Kelsier als auch Marsch geliebt hatten.
Als Kelsier und Mare in die Gruben von Hathsin geworfen wurden, hatte sich Marsch von der Rebellion losgesagt. Seine Begründung dafür war einfach gewesen. Wenn der Oberste Herrscher in der Lage war, Kelsier – den genialsten Dieb seiner
Zeit – zu fangen, dann würde er irgendwann auch Marsch fangen.
Er hatte sich nicht aus Angst, sondern aus Gründen der Vernunft zurückgezogen. Marsch war schon immer ein praktisch denkender Mensch gewesen. Der Kampf hatte sich als sinnlos erwiesen. Warum also sollte Marsch ihn weiterführen?
Und dann war Kelsier zurückgekehrt und hatte das getan, was die rebellierenden Skaa tausend Jahre lang nicht geschafft hatten: Er hatte das Reich gestürzt und den Tod des Obersten Herrschers ermöglicht.
Ich hätte es sein sollen, dachte Marsch. Ich habe mein ganzes Leben hindurch der Rebellion gedient und kurz vor ihrem endgültigen Sieg aufgegeben.
Es war eine Tragödie, und sie wurde noch schlimmer durch den Umstand, dass Marsch es erneut tat. Er gab auf.
Verdammt seiest du, Kelsier!, dachte er verbittert. Kannst du mich nicht einmal nach deinem Tod in Ruhe lassen?
Doch eine qualvolle, unleugbare Tatsache blieb zurück. Mare hatte Recht gehabt. Sie hatte Kelsier Marsch vorgezogen. Als die beiden Männer gezwungen gewesen waren, sich ihrem Tod zu stellen, hatte der eine von ihnen aufgegeben.
Und der andere hatte dafür gesorgt, dass ihre Träume in Erfüllung gingen.
Marsch wusste, warum Kelsier beschlossen hatte, das Letzte Reich zu stürzen. Es war ihm nicht um Geld oder Ruhm und auch nicht – wie die meisten vermutet hatten – um Rache gegangen. Kelsier hatte Mares Herz gekannt. Er hatte gewusst, dass sie von einer Zeit geträumt hatte, in der die Pflanzen blühten und der Himmel nicht mehr rot war. Sie hatte beständig dieses kleine Bild einer Blume bei sich getragen, die kopierte Kopie einer Kopie – die Darstellung von etwas, das dem Letzten Reich schon vor langer Zeit abhandengekommen war.
Aber, dachte Marsch bitter, du hast ihre Träume nicht wahrgemacht,
Kelsier. Du hast versagt. Du hast den Obersten Herrscher getötet, aber das hat nichts genützt. Es hat alles nur noch schlimmer gemacht!
Die Asche fiel weiterhin, und eine leichte Brise trieb sie um Marsch herum. Die Kolosse grunzten, und irgendwo in geringer Ferne schrie einer auf, als sein Gefährte ihn tötete.
Kelsier war nun tot. Aber er war für ihren Traum gestorben. Mare hatte das Richtige getan, indem sie Kelsier erwählt hatte, aber auch sie war tot. Marsch hingegen nicht. Noch nicht. Ich kann noch kämpfen, sagte er sich. Aber wie? Wenn er auch nur den kleinen Finger rührte, würde das bereits Ruins Aufmerksamkeit auf ihn lenken.
Während der letzten Wochen hatte er überhaupt nicht mehr gekämpft. Vielleicht war das der Grund, warum Ruin entschieden hatte, Marsch so lange allein zu lassen. Diese Kreatur – oder die Kraft, oder was immer es war – war nicht allmächtig. Marsch vermutete jedoch, dass sie sich frei bewegen, die ganze Welt beobachten und sehen konnte, was in den verschiedenen Teilen geschah. Keine Mauern verstellten ihr den Blick – sie schien in der Lage zu sein, einfach alles zu überwachen.
Außer den Gedanken eines Menschen.
Vielleicht … vielleicht kann ich sie überraschen, indem ich lange genug mit dem Kämpfen aufhöre und dann
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