Herrscher über den Abgrund
Augen auf.
Die Flucht
„Tot!“ Ihre Stimme klang schrill. „Tot!“
Sie starrte ihn an, aber Sander erkannte, daß Fanyi etwas anderes sah – nicht sein Gesicht jedenfalls und vielleicht nicht einmal diesen Raum.
„Ich – will – nicht!“ Zwischen jedem Wort holte sie tief Atem. Sie sprach entschieden. „Ich – will – nicht!“
Fanyi richtete sich auf, doch Sander ergriff ihre Schultern und drückte sie wieder sanft auf den Boden. Er hatte Angst. In den Augen des Mädchens bemerkte er keinen Funken eines Wiedererkennens. Hatte sie ihre Gefangenschaft verrückt werden lassen, so wie Maxim verrückt geworden war?
„Du brauchst nichts zu tun, was du nicht willst.“ Mit Anstrengung gelang es ihm, seine Stimme unter Kontrol le zu halten.
Ihre Lippen bewegten sich lautlos. „Ich – will – nicht.“ Dann fügte sie hinzu: „Wer bist du? Bist du eine der Maschinen?“ Wieder spürte er, wie sich ihr Körper versteifte. „Ich will nicht I Du kannst mich nicht zwingen – du kannst nicht!“
„Fanyi!“ Wie den Fischern gegenüber sprach er mit größter Eindringlichkeit. „Ich bin Sander, du bist Fanyi – Fanyi!“
„Fanyi?“ fragte sie. Diese Frage erschütterte Sander. Wenn sie nicht einmal ihren eigenen Namen mehr kannte … Was hatte dieser entsetzliche Raum aus ihr gemacht? Er war wütend und hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen. Aber er beherrschte sich.
„Du bist Fanyi.“ Er sprach, als hätte er ein kleines Kind vor sich. „Ich bin Sander.“
Sie lag reglos und sah ihn an. Und dann bemerkte er zu seiner Erleichterung, daß sich der Ausdruck ihrer Augen veränderte. Sie glich nun jemanden, der durch einen Vorhang spähte. Langsam fuhr ihre Zunge über die Lippen.
„Ich – bin – Fanyi“, sagte sie langsam und seufzte. Sie entspannte sich, der Kopf sank zurück, und die Augen schlossen sich. Sie schlief.
Sie mußte hier heraus! Wenn er sie auf Rhins Rücken heben könnte … Dieses sonderbare Gefühl auf seiner Haut wurde stärker. Und da war noch etwas – etwas, das an seinem Geist – ja: nagte, das war wohl der beste Ausdruck dafür. Er packte mit beiden Händen das metallene Stirnband. Es war warm – heul, er sollte es abnehmen …
Der Schmied nahm mit Mühe seine Finger zurück. Es abnehmen! Genau das wollte dieses – dieses Ding hier! Rasch blickte er über die Schulter. Er war so sicher, daß noch jemand im Raum war, daß er fast erwartete, Maxim vor sich zu sehen oder jemand, der ihm ähnlich war.
Kaltes Eisen –
Rasch winkte er Rhin herbei, und als der Kojote sich hinlegte, hob er Fanyi auf und band sie auf seinem Rücken fest. Kayi knurrte anfangs, merkte aber dann offenbar, daß Sander dem Mädchen nichts tun wollte.
Als er sie festgebunden hatte, machte Sander sich auf den Rückweg durch das unheimliche Zimmer, das von jemanden bewohnt war, der versuchte, ihn in seinen Bann zu ziehen. Konnte der Unbekannte auch die Tiere beeinflussen, so daß Rhin und die Fischer sich gegen ihn stellen würden?
Daß die Tiere etwas empfanden, was sie beunruhigte und was sie fürchteten, wußte er, denn sie knurrten, und die Fischer wandten ständig die Köpfe auf der Suche nach einem Feind, den sie nicht sehen konnten. Rhin knurrte ebenfalls, doch folgte er Sanders Drängen. Sie kamen an der zerstörten Tür vorbei, hinter der sie das Mädchen gefunden hatten. Und als sie hinter ihnen lag, atmete Sander auf.
Die nächste Tür lag vor ihnen, und die Fischer sprangen hindurch. Die Öffnung war jedoch für Rhin und Fanyi zusammen zu eng. Sander suchte den größten Hammer aus seinem Werkzeugsack und hieb mit aller Macht gegen die Überreste der Tür. Endlich gaben sie krachend nach, und Rhin konnte sich hindurchzwängen. Sander behielt den Hammer in der Hand. Wie das Eisenband vermittelte ihm auch der Hammerstiel ein Gefühl des Bekannten und der Sicherheit, das ihm weder der Pfeilwerfer noch Maxims Waffe vermitteln konnte. Denn sie bedeuteten einen Teil seiner Berufung, und als Schmied fühlte er sich sicher. Im Moment hatte er diese Sicherheit nötig.
Die Fischer liefen hier nicht so rasch und weit voraus, wie sie es sonst gewöhnlich taten. Ab und zu zischelten sie leise, doch nicht bedrohlich, eher, als würden sie sich miteinander verständigen.
Fanyi war, seitdem sie ihren Namen fragend wiederholt hatte, nicht wieder zum Bewußtsein gekommen. Sander war überzeugt, daß sie in einen unnatürlichen Schlaf gesunken war, und er wollte sie, so weit es
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