Mühe.
Und auch mein Betreff heute ist nicht beliebig gewählt. Nein, noch drei Mal schlafen, dann starte ich am Frankfurter Flughafen in mein neues Leben. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf beides freue – auf NY und meine neue Zukunft. Ich freue mich sogar so sehr, dass es mir rein gar nichts mehr ausmacht, mich morgen unterm Weihnachtsbaum meiner Eltern wieder wie ein Kleinkind zu fühlen. Sie werden mich nämlich wie ihre Enkel behandeln und nach Strich und Faden mit fragwürdigen Weihnachtsritualen traktieren.
Aber egal!
Mein Koffer ist schon zu einem Viertel gepackt, das zweite Viertel folgt am ersten Weihnachtstag, und die letzten beiden Viertel lasse ich frei, damit ich mich beim Shoppen auf der Fifth Avenue nicht zurückhalten muss. Soll ich dir auch etwas mitbringen aus NY ?
Wie wäre es wenigstens mit einer MMS in der Silvesternacht? Ein Bild, wie ich um Mitternacht Melli auf dem Times Square zuproste, aber in Wahrheit in Gedanken ganz bei dir bin. (Ich habe ihr allerdings auch schon von dir berichtet. Sie weiß also, worauf sie sich einlässt …) Aber lassen wir das. Erstens weißt du Kommunikationsmittelmuffel sicher gar nicht, was eine MMS ist. Zweitens hast du mir noch immer nicht deine Handynummer verraten (falls dir das nicht mehr bewusst ist). Und drittens haben wir ja sozusagen ein stillschweigendes Abkommen, dass wir unser äußeres Erscheinungsbild erst live und in Farbe preisgeben. Nur so viel vorab: Ich bin zwar durchaus blond, aber ob Frauen mit 1,62 m schon als langbeinig gelten, wage ich zu bezweifeln. Ich meine, ich beichte dir das lieber gleich, um die erste Enttäuschung ein bisschen abzufedern.
Wie auch immer, morgen wird es wie jedes Jahr ein bisschen hektisch zugehen in unserer Chaosfamilie: mit den Kindern in die Kirche gehen, Vater beim Baumschmücken assistieren, Mutter beim Kochen helfen (es gibt Karpfen für die Großen und paniertes Fischfilet für die Kleinen, einschließlich mir). Dann wie jedes Jahr mit Nina «Ist das Leben nicht schön?» gucken und um die Wette mit meinem Schwager Feuerzangenbowle trinken …
Trotzdem werde ich, sobald ich morgen Abend volltrunken nach Hause komme, sofort an meinen Rechner gehen, um zu lesen, wie du deinen Reisepass verloren hast. (Das hat hoffentlich nichts mit einer langbeinigen Blondine zu tun!)
Und falls wir uns vorher nicht mehr lesen sollten, wünsche ich dir schon jetzt einen bezaubernden Heiligen Abend mit deiner Mutter.
Alles Liebe
Sara
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Sa 24. Dezember 18:56
Betreff: Fröhliche Weihnachten
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
für Dich mag der Weihnachtstag vielleicht eine immer wiederkehrende Qual sein, aber für mich hört es sich sehr gemütlich und familiär an. Ich würde jedenfalls einiges dafür geben, wenn ich neben Dir unterm Weihnachtsbaum knien dürfte und Dir beim Auspacken der Geschenke zusehen könnte.
Und dann erfahre ich auch noch, dass Du 1,62 Meter bist! Die perfekte Größe für eine Frau. Ich selbst bin übrigens 1,82 und würde trotzdem niemals auf Dich heruntersehen.
Während Du jetzt also wahrscheinlich schon bei Deinen Eltern bist, habe ich meine Wohnung mit Kerzen geschmückt und mir ein Stück Lachs in den Ofen geschoben. Ein Glas Rotwein steht neben mir, und die Kartoffeln klappern schon im Topf. Als Vorspeise knabbere ich an Oliven vom Türken, und zum Nachtisch gibt’s ein Stück Marzipantorte mit einem oder mehreren Gläsern 12 Jahre alten Rums. Ich habe beschlossen, viel zu trinken und früh ins Bett zu gehen.
Der Besuch bei meiner Mutter war wenig erfreulich. Ich habe sie gestern schon beschenkt und musste dabei erfahren, dass sich ihr Zustand in meiner Abwesenheit verschlechtert hat. Sie war nicht aufnahmefähig, aber davon will ich Dir an diesem Tag nichts erzählen.
Stattdessen eine Weihnachtsgeschichte à la Berti:
Vor drei Tagen komme ich vom Büro nach Hause, fest in meinen Mantel eingemummelt, die Hände tief in den Taschen, denn die Handschuhe liegen (natürlich) auf der Heizung im Büro. Während ich den Schlüssel in der Jackentasche suche, treffe ich Petzi auf der Straße. Wir unterhalten uns wie gute Freunde, die wir zwar nie waren, jetzt aber aus irgendeinem Grund geworden sind. (Sie hat einen festen Freund mit Namen Knut, der bei einer Exportfirma arbeitet und in seiner Freizeit Motorrad fährt, wie ich auf dem kurzen Weg erfahre.) Jedenfalls öffne ich beim freundlichen