wir weiter.
Am Montag war jedoch alles anders. Ich bin ins Büro und habe kurz von Thailand erzählt und irgendwann erwähnt, dass dort alle so nett sind, besonders die Frauen, die mir fast ein bisschen zu unterwürfig schienen. Bei diesem Thema hat Joe aufgehorcht und mir zum x-ten Mal erzählt, wie toll es die Frauen in den 40ern hatten und dass man sie damals viel besser behandelt habe. Man habe ihnen z.B. stets in den Mantel geholfen und ihnen die Tür geöffnet usw. Dafür waren die Frauen dann auch liebenswürdiger zu den Männern (unterwürfig eben), was Joe offensichtlich gaaaanz toll findet. Die Frau als Privatsklavin des Mannes … Ich habe mir das – wie gesagt – schon etliche Male anhören müssen, aber Montag ist mir die Hutschnur geplatzt. Ich spürte, wie ich wütender und wütender wurde. Irgendwann sagte ich mir, jetzt musst du gehen, sonst passiert ein Unglück, aber ich bin nicht gegangen – und dann passierte es. Ich habe den bescheuerten Joe gefragt, wie er es findet, dass die Frauen damals quasi keine Rechte hatten und dass alleinerziehende Frauen in den 40ern wie Aussätzige behandelt wurden. Dass Männer ihre Frauen betrügen durften, aber wenn es umkehrt lief, war es ein Skandal.
Nun, was, meinst Du, hat Joe geantwortet? Hat er seine Meinung verteidigt? Hat er gesagt, dass es damals gar nicht so war? Dass beim Swing die Frauen den Männern ebenbürtig waren? Hat er sich herausgeredet? Nichts da!
Er hat gemeint, dass es besser war, so, wie es damals lief. Er findet, dass Männer die Verantwortung übernehmen müssen und Frauen den Haushalt führen sollen. So wie in der guten alten Zeit eben. Der Feminismus hätte alles kaputt gemacht.
Das hat mich völlig auf die Palme gebracht, und ich habe ihm auf den Kopf zugesagt, dass er ein Spinner ist. Dass er unter einer Glasglocke lebt. Und dass der Swing das einzig Gute an den 40ern war … Daraufhin haben wir uns dermaßen gestritten, dass Joe irgendwann wütend rausgestürmt ist. Ich habe dann seine Arbeit erledigt!
Gestern kam er dann schweigend ins Büro und hat mir seine Kündigung reingereicht. Erst wollte ich mich wieder mit ihm versöhnen, habe betont, dass ich seine Arbeit schätze und er doch nicht gleich übertreiben soll. Aber innerlich hat es in mir gebrodelt, und da er sowieso kein Wort gesagt hat, habe ich schließlich gemeint, dass es vielleicht besser so sei, und ihn für die restliche Zeit freigestellt.
Klasse! Jetzt sitze ich alleine im Büro, muss seine Arbeit machen und bin stinksauer. Zudem habe ich ein schlechtes Gewissen, kurz gesagt: Meine Urlaubserholung ist hin. Dabei wollte ich den Rest des Jahres genießen und mich auf unser Treffen im Februar konzentrieren.
Ich könnte platzen! Warum bin ich auch überhaupt ins Büro gegangen? Ich muss jetzt erstmal joggen gehen.
Wütende Grüße
Berti
***
Do 22. Dezember 3:43
Betreff: Stille Nacht
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebe Sara,
ich lag schon im Bett, konnte aber nicht schlafen. Also habe ich mich an den Computer gesetzt und schreibe Dir jetzt diese Zeilen.
In meinen Gedanken beschimpfe ich Joe weiter, und doch habe ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm Dinge vorgeworfen habe, die gemein waren. Wenn ich könnte, würde ich den Streit zurücknehmen, aber da es nicht geht, muss ich jetzt damit leben, und das fällt mir extrem schwer. Joggen hat übrigens gar nicht geholfen. Im Gegenteil: Ich bin so schlecht in Form, dass ich dauernd gehen musste. Und das hat mich noch wütender gemacht.
Um 3 Uhr bin ich aufgestanden und habe eine Flasche Wein aufgemacht. Jetzt sitze ich im Halbdunkeln und frage mich, ob ich vielleicht so wütend bin, weil ich Angst habe, wie Joe zu sein. Bin ich auch ein Freak mit seltsamen Ansichten? Verschlossen? Anderen ein Rätsel? Lebe ich nicht auch in einer hermetisch abgeriegelten Welt, unter einer Glasglocke? Einer Welt, in der jeder seinen angestammten Platz hat, in der es einen genauen Ablauf gibt, der sich wöchentlich exakt wiederholt? Habe ich mein Leben in eine Einbahnstraße bugsiert? Verpasse ich das, was gut und richtig wäre? Werde ich einsam und verbittert?
Und wenn mir das droht, wie komme ich dann aus dieser Einbahnstraße wieder raus?
Bist Du jemand, der mich aus dieser Einbahnstraße herausholen kann, oder werde ich mit meiner Art bei Dir scheitern und endlich begreifen, dass ich in meinem Leben alles falsch gemacht habe? Ich weiß es