Herz aus Eis
diese Geheimniskrämerei?« fragte Nina. »Warum ziehen wir uns nicht hübsch an, besteigen unsere Kutschen und verteilen einfach, was wir mitgebracht haben?«
»Und welcher Bergarbeiter erlaubt seiner Frau, von den Töchtern der Reichen dieser Stadt Almosen anzunehmen?« fragte Miss Emily. »Ich denke, wir sollten so fortfahren wie bisher. Houston, ich möchte, daß du jetzt sehr genau über meine Frage nachdenkst und sie gewissenhaft beantwortest: Glaubst du, daß Fenton dich oder die anderen Frauen der Schwesternschaft verklagen wird?«
Und damit riskieren, daß man ihn als Erbschleicher und Betrüger eines dreitägigen Babys entlarvt?, überlegte Houston. »Nein«, sagte sie, »ich glaube nicht, daß ich verhaftet werde. Ich schließe mich Emilys Meinung an, daß wir fortfahren sollten wie bisher. Die wenigen, die unser Geheimnis kennen, haben großes Interesse daran, es nicht an die große Glocke zu hängen. Wenn wir sonst nichts mehr zu besprechen haben, würde ich die Versammlung schließen und . . .«
»Moment«, rief Blair, »Nina und ich haben noch etwas vorzubringen.«
Blair und Nina berichteten nun gemeinsam von einer Idee, mit der sie schon seit Wochen schwanger gegangen waren — nämlich ein Frauenmagazin herauszubringen, daß in einer Geheimsprache die Bergarbeiter von den gewerkschaftlichen Tätigkeiten in ganz Amerika unterrichtete. Sie legten einen Musterartikel vor und sprachen davon, daß sie das Magazin als Geschenk an die Bergarbeiterfrauen in den Kohlegruben verteilen wollten.
Die Mitglieder der Schwesternschaft zögerten zunächst, diesem Vorhaben zuzustimmen. Sie hatten sich noch nicht von ihren Schrecken erholt, daß Fenton von ihren Aktivitäten wußte.
»Sind wir nun dafür oder dagegen?« fragte Miss Emily, und die Frauen begannen, über das Projekt zu diskutieren.
Stunden später verließen die Frauen in kleinen schweigenden Gruppen Miss Emilys Teestube. Jede Frau dachte bedrückt an die Möglichkeit, daß sie selbst oder eine Mitstreiterin verhaftet werden könnte.
»Houston«, sagte Blair, nachdem die anderen gegangen waren, »könnten wir beide mal miteinander reden?«
Houston nickte, brachte es aber nicht fertig, ihrer Schwester die Ereignisse der letzten Nacht zu erzählen. Blair mochte sich dann wieder Vorwürfe machen, und Houston hatte schon genug Katzenjammer.
»Ich will nicht in dich dringen«, sagte Blair, »wenn du nicht darüber reden willst, was gestern nacht passierte. Nur — stimmt das, was man sich überall in der Stadt erzählt? Daß du ihn verlassen hast?«
»Das kann ich nicht bestreiten«, sagte Houston, ihre Tränen hinunterwürgend. »Ich wohne zur Zeit bei Pamela Younger, Jacob Fentons Tochter.«
Blair blickte ihre Schwester lange an; versuchte jedoch nicht, ihr Ratschläge zu erteilen oder einen Kommentar abzugeben.
»Wenn du mich brauchst — ich bin hier, um dir zuzuhören; doch in der Zwischenzeit wirst du eine Ablenkung brauchen. Die erste Aufgabe von >Lady Chandlers Magazin< muß dem Aufsichtsrat der Bergwerksgesellschaft zur Genehmigung vorgelegt werden; und daher möchte ich, daß sie so harmlos wie möglich ausfällt. Ich brauche Artikel mit entsprechender Thematik; wie man Kleider reinigt, sein Haar pflegt, sich mit dem Lohn eines Bergarbeiters wie eine Prinzessin kleidet - solche Sachen. Ich denke, du eignest dich großartig dazu, sie zu schreiben. Kannst du mich jetzt begleiten, damit wir dir eine Schreibmaschine kaufen? Ich werde dir gleich anschließend beibringen, wie man damit umgeht.«
Houston hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, wie sie die Zeit totschlagen sollte, wenn sie sich nicht mehr um Kanes Haus und ihren Mann kümmern mußte. Doch nun wurde ihr klar, daß sie nur in Pams Wohnung herumsitzen und sich verfluchen würde, weil sie so blöd gewesen war, sich in so einen Mann wie Kane Taggert zu verlieben, wenn sie sich nicht mit Arbeit ablenkte. »Ja«, sagte sie, »ich mache das gern. Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, wie die Frauen der Bergarbeiter ihre Baracken verschönern und etwas Freude in ihr tristes Leben bringen könnten.«
Blair deckte Houston mit so viel Arbeit ein, daß Houston überhaupt keine Zeit hatte, an etwas anderes zu denken. Sobald Houston mit einem Artikel fertig war, hatte Blair schon wieder eine Idee für den nächsten. Pam nahm so viel Anteil an Blairs Magazin, daß sie ihre Küche in ein Versuchslabor für Fleckenreiniger verwandelte und nach einem wirklich wirksamen Mittel zum
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