Herz aus Feuer
Männer von der Ostküste, die sich offenbar von der aufstrebenden Stadt einen Profit versprachen; ein paar Arbeiter aus den Kohlenminen und alteingesessene Bürger, die den Zwillingen und Leander zuwinkten und -nickten. Rufe wie »willkommen daheim, Blair-Houston« begleiteten sie auf ihrem Weg durch die Stadt.
Blair warf einen Blick auf ihre Schwester und bemerkte, daß diese nach Westen blickte, wo ein monumentales Bauwerk die Silhouette der Stadt beherrschte, wie man es sich monströser kaum vorstellen konnte. Es war ein riesiges weißes Haus, das auf einem hohen Hügel aufragte, dessen Kuppe ein gewisser Mr. Kane Taggert hatte einebnen lassen, um Platz für seine protzige Villa zu schaffen.
Blair wußte, daß sie dieses Haus nicht unvoreingenommen betrachten konnte, weil seine Entstehung jahrelang die Korrespondenz ihrer Mutter und Schwester beherrscht hatte. Keine Geburt, kein Todesfall, keine Heirat und kein Unfall — nichts, was sich in Chandler ereignet hatte, war wichtig gewesen, wenn es nicht in irgendeiner Beziehung zu diesem Haus gestanden hatte.
Und als das Haus endlich fertig war und der Eigentümer niemanden einlud, seine Wohnung auch von innen zu betrachten, war die Verzweiflung darüber in den Briefen, die Blair von zu Hause erhielt, so herzzerreißend, daß es fast komisch war.
»Reißen sich die Leute noch immer danach, das Haus von innen zu besichtigen?« fragte Blair, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Wenn Leander sie nicht ernst nahm und ihren Fragen auswich — wie wollte sie dann Houston die Augen öffnen und zeigen, was für ein Mensch sich hinter der hübschen Fassade ihres Verlobten versteckte?
Houston beantwortete unterdessen ihre Frage auf eine seltsam verklärte Weise, als wäre das weiße Haus auf dem Hügel ein Märchenschloß, wo alle ihre Träume in Erfüllung gingen.
»Ich bin mir nicht so sicher, daß die Gerüchte, die die Leute über ihn ausstreuen, nur erfunden sind«, sagte Leander, als Houston Taggerts Namen erwähnte. »Jacob Fenton ist der Ansicht. . .«
»Fenton!« explodierte Blair. »Fenton ist ein korrupter Ausbeuter; ein Mann, der über Leichen geht, um seinen Willen durchzusetzen.« Fast alle Kohlenbergwerke in der Umgebung von Chandler gehörten Fenton, und er sperrte seine Bergarbeiter in Lager ein, als wären sie seine Sklaven.
»Ich bin nicht der Meinung, daß du Fenton dafür allein die Schuld geben kannst«, sagte Lee. »Er hat Aktionäre, die er abfinden, Verträge, die er erfüllen muß. Da reden auch noch andere Leute mit.«
Blair wollte ihren Ohren nicht trauen und blickte ihre Schwester verstohlen von der Seite an. Leander hatte die Kutsche angehalten, um eine Pferdebahn vorbeizulassen, und Blair stellte befriedigt fest, daß Houston ihnen zuhörte. Leander verteidigte die Schlotbarone, und Blair wußte, wie sehr Houston das Wohl der Bergarbeiter am Herzen lag.
»Du hast nie in einer Kohlengrube arbeiten müssen«, sagte Blair. »Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, jeden Tag um das nackte Überleben kämpfen zu müssen.«
»Aber du scheinst das zu wissen, wie?«
»Mehr als du«, fauchte sie. »Du hast ja in Harvard Medizin studieren dürfen. Harvard läßt keine Frau zum Studium zu!«
»Jetzt kommt sie wieder mit dieser Leier«, sagte er seufzend. »Wirfst du das jedem Mediziner vor? Oder bin ich der einzige männliche Kollege, der dafür Schelte bekommt?«
»Du bist der einzige, der die Absicht hat, meine Schwester zu heiraten.«
Er drehte sich um und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich habe gar nicht gewußt, daß du eifersüchtig bist, Blair! Aber beruhige dich — du wirst eines Tages auch noch den passenden Mann finden.«
Blair ballte die Hände an ihrer Seite zu Fäusten, blickte geradeaus und versuchte sich daran zu erinnern, warum sie mit diesem aufgeblasenen, so schrecklich von sich eingenommenen Mann überhaupt ein Gespräch angefangen hatte. Hoffentlich wußte Houston das Opfer zu schätzen, das sie ihretwegen brachte!
Blair holte tief Luft: »Was hältst du denn von weiblichen Ärzten?«
»Ich mag Frauen.«
»Aha! Du magst Frauen, solange sie dir nicht in der Klinik in die Quere kommen!«
»Ich glaube, das hast du gesagt, nicht ich.«
»Du hast gesagt, ich wäre kein >richtiger< Arzt und könnte deshalb nicht mit dir zusammen Visite in der Klinik machen.«
»Ich habe nur gesagt, daß der Verwaltungsrat der Klinik dir wahrscheinlich nicht erlauben wird, mit mir zusammen Visiten im Krankenhaus
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