Herz dder Pflicht
dachte Richard. Er hielt es für angebracht, sich William Compton genauer anzuschauen. Im Gegensatz zu Jack und Pandora war er froh, dass der Bursche sich entschieden hatte, für einige Zeit in Compton Place zu bleiben, wo er ihn im Auge behalten konnte.
Am späten Nachmittag saßen Richard und Jack zwischen den Dienstboten an einem langen Tisch. Zerbeulte Pfannen und Töpfe aus Kupfer auf der Anrichte dahinter waren Anzeichen dafür, dass in der Küche die gleiche Armut herrschte wie im übrigen Haus.
Richard war der Haushälterin, Mrs. Rimmington, vorgestellt worden. Sie saß am Kopfende der Tafel, zu ihrer Rechten der Butler Galpin, zu ihrer Linken der Reitknecht George Davies, daneben William Comptons Reitknecht Brodribb. Jack hatte man den Ehrenplatz am unteren Ende zugewiesen, mit Richard an seiner rechten Seite. Sir Johns und Williams Kammerdiener saßen links und rechts davon. Alles verlief genauso formell wie im herrschaftlichen Speisesalon, nur dass Tischgeschirr und Besteck billiger und gröber waren. Richard war sich im Klaren darüber, dass er aufmerksam beobachtet und ein Urteil über ihn gefällt wurde.
Sie hatten das anspruchslose Mahl noch nicht beendet, als die Tür aufging und Pandora hereinkam. Sie trug wieder ihr schäbiges Kleid und wirkte irgendwie verwirrt.
„Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie beim Essen störe“, sagte sie, „aber Sir John und Mr. Compton möchten Mr. Ritchie unverzüglich sprechen, und Sir John wird schnell ärgerlich, wenn er warten muss.“
Richard erhob sich. Er fragte sich, was in aller Welt geschehen sein konnte, das sein sofortiges Erscheinen in den Heiligen Hallen, wie Jack die Suite seines Großvaters nannte, notwendig machte. Er verbeugte sich in Mrs. Rimmingtons Richtung, was die Haushälterin bewog, ihn vorteilhaft mit Mr. Sutton zu vergleichen, der sich ihr gegenüber stets respektlos benommen hatte.
„Mein Bruder war sehr beharrlich und hat Sir John ziemlich zugesetzt“, erklärte Pandora ihm auf dem Weg nach oben. „Worum es ging, weiß ich nicht, nur dass es etwas mit Ihnen zu tun hat.“
„Ich stehe Ihrem Großvater jederzeit zu Diensten“, erwiderte Richard. William erwähnte er nicht.
Wie gewöhnlich führte ein Lakai sie in den Raum, was sonst nirgendwo im Haus üblich war. Dies sowie seine elegante Suite ließen Sir John denken, dass in Compton Place alles gut lief.
William stand am Fenster und starrte in den vernachlässigten Garten hinaus. Sein Großvater saß in seinem gewohnten Sessel und schaute Richard an, als ob er aus dem Nichts aufgetaucht wäre. „Was tut dieser junge Mann hier?“
Richard hoffte, dass Sir John nicht wieder davon anfing, der Hauslehrer sei in Wirklichkeit ein Soldat. Dann würde William womöglich Verdacht schöpfen.
Es wurde ihm schnell klar, dass Pandoras Halbbruder genau das getan hatte. Er winkte Pandora, die den Raum verlassen wollte, in seiner gewohnt unhöflichen Art zurück.
„Bleib hier“, befahl er, als ob sie ein Hund wäre. „Ich wünsche deine Anwesenheit, wenn wir diesen Burschen ausfragen. Sir John, wollen Sie anfangen?“
„Wenn ich wüsste, was ich sagen soll, würde ich das tun“, erwiderte der alte Mann mit zitternder Stimme.
„Aber Großvater“, erwiderte William. „Das kannst du doch nicht schon vergessen haben.“
„Ich vergesse nie etwas“, versicherte Sir John, diesmal in lautem Ton. „Es ist sehr unfreundlich von dir, so etwas zu behaupten. Wenn dir so viel daran liegt, diesen Mann zu befragen, musst du es selbst tun.“
„Nun gut.“ William nahm einige Papiere, die neben Sir John auf dem Tisch lagen. „Ich habe Ihre Empfehlungsschreiben geprüft. Sie geben an, dass Sie vor zwei Jahren im Sommer Henry Hayes in Castle Downing unterrichtet haben. Ich war damals dort, habe Henrys Hauslehrer kennengelernt, und das waren ganz sicher nicht Sie. Daher glaube ich, dass Sie nicht sind, wer Sie zu sein behaupten. Ich werde meinem Großvater raten, Sie auf der Stelle zu entlassen. Können Sie mir einen Grund nennen, warum er das nicht tun sollte?“
„Es gibt eine Erklärung dafür, weshalb Sie mich nicht gesehen haben“, erwiderte Richard. „Ich war im Spätsommer und Anfang Herbst für eine kurze Zeit Henrys Lehrer, als sein eigentlicher Lehrer, Mr. Shaw, denke ich, Urlaub hatte, um die Angelegenheiten seines verstorbenen Vaters zu ordnen. Es tut mir leid, dass das Schreiben über meine Anstellung dort aus Versehen den Papieren, die ich Miss Compton übergeben habe, nicht
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