HERZ HINTER DORNEN
er konnte sich das merkwürdige Gesicht Roselynnes nicht erklären, die so aussah, als hätte sie gerade einen fauligen Apfel auf ihrem Teller gefunden. »Keine Angst, du wirst gerächt werden. Sobald wir nach Norden ziehen, wird Robert Duncan erfahren, was es heißt, eine Tochter des Rosenturms zu beleidigen.«
Die Äbtissin räusperte sich mahnend, ehe sie das Wort ergriff. »Dies ist weder die Zeit noch der Ort für Racheschwüre, Seigneur. Eure Schwägerin hat sich entschlossen, zu verzeihen und zu büßen. Es wäre gut, wenn Ihr dies respektieren würdet.«
»Aber sie kann unmöglich hier bleiben«, brauste Ryan of Hythe hartnäckig auf. »Dies ist ein Kloster und keine Kinderstube.«
»Das hast nicht du zu entscheiden«, erwiderte Roselynne ruhig und befreite sich aus seinen Armen.
»So nimm doch Vernunft an.« Ein Unterton von Verzweiflung schlich sich in die Stimme des Barons. »Begib dich wenigstens in die Obhut deiner Mutter. Dieses Kind, das du erwartest, trägt keine Schuld an den Ereignissen. Bestraf es nicht, indem du es mit Waisen und Findelkindern aufwachsen lässt. Es ist trotz allem von edlem Blut!«
»Du hast nichts damit zu schaffen. Vergiss dieses Kind!«, forderte Roselynne knapp.
»Das kann ich nicht!«, brüllte der Edelmann, nun endgültig aus der Fassung gebracht. »Willst du keine Vernunft annehmen?«
Roselynne sah das amüsierte Funkeln in den Augen Mutter Laurentines und wusste, dass die Äbtissin die Worte wieder erkannte, die sie selbst schon so oft zu diesem Thema gesagt hatte. Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht vom namenlosen Bastard eines Schotten sprach, sondern vom Erben des Hauses d'Amonceux.
»Es wird ohnehin ein Mädchen«, schleuderte sie allen beiden in plötzlich erwachtem Zorn an den Kopf. »Seit wann kümmern sich die Männer darum, was aus Töchtern und Frauen wird?«
Ryan of Hythe wunderte sich im Gegensatz zu Mutter Laurentine nicht über Roselynnes Wissen. Er hatte sich daran gewöhnt, dass die Töchter des Rosenturms Dinge erkannten und sagten, die nicht mit Vernunft zu erklären waren. Seine Wut flaute ebenso schnell wieder ab, wie sie aufgeflammt war. Er rieb sich mit zwei Fingern die steile Falte an seiner Nasenwurzel und seufzte resigniert. »Kannst du mir sagen, wie ich all das deiner Familie erklären soll?«
»Es tut mir Leid.« Roselynne begriff sehr wohl, dass sie ihn vor eine unlösbare Aufgabe stellte. »Ich nehme an, du bist mit dem König gekommen. Sind die Kämpfe vorbei? Wie hast du erfahren, dass ich in Montivilliers bin?«
Erst jetzt dachte sie wieder daran, ihrerseits Fragen zu stellen, und der Baron beantwortete sie bereitwillig. »Die Friedensverhandlungen finden in Rouen statt, und Robert wird vermutlich alles unterschreiben, was ihm sein Bruder diktiert. Damit er auch kompromissbereit bleibt, hat Rufus die ersten Männer seines Adels als Geiseln genommen. Justin d'Amonceux war unter ihnen.«
»O Gott! Er ist in Rufus' Gewalt? Dann hat er herausgefunden, dass ...« Roselynne brach ab und presste die Hand auf den Mund. Wenn der König bei dieser Gelegenheit Justins Verrat entdeckt hatte, gab es nur ein einziges Urteil. Sie war so in Sorge, dass ihr gar nicht bewusst wurde, wie viel sie mit diesem Gefühlsausbruch verriet.
Der Baron von Aylesbury hingegen starrte ungläubig in die riesigen veilchenfarbenen Augen, die von bläulichen Schatten umgeben waren und wirre Panik spiegelten. In seinem Kopf begannen sich die Informationen, die er über d'Amonceux und die Entführung seiner Schwester besaß, zu einem völlig neuen Muster zu ordnen.
»Er war es, der dich aus den Händen der Schotten befreite, wie ich vernahm«, wählte er seine Worte mit Bedacht. »Du hast es nicht für nötig gehalten, ihn zu erwähnen. Gibt es dafür einen besonderen Grund?«
Roselynne schüttelte stumm den Kopf und senkte viel zu spät die Lider.
Mutter Laurentine stellte währenddessen die Frage, die ihr selbst in der Kehle stecken blieb. »Ist mein Neffe zu Schaden gekommen?«
»Wenn man von ein paar Schrammen in der Schlacht und ein paar Unbequemlichkeiten der Unterkunft absieht, würde ich sagen, nein«, entgegnete Ryan of Hythe.
»Er hat sich unterworfen?« Sogar Roselynne schien das nicht vorstellbar. »Oder hat ihn der König begnadigt?«
»Keines von beiden«, erwiderte der Baron langsam. »Der Seigneur strebt kein Leben bei Hofe an. Er will sich den Rittern im Heiligen Land anschließen, die dort die Stätten der Christenheit gegen die
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