HERZ HINTER DORNEN
tauchte aus den Falten ihres Umhangs auf und sanfte Fingerspitzen glitten über die Narbe in seinem Gesicht. Der schöne Mund bildete ein betroffenes, doch stummes >Oh!<, und in ihren eben noch zornigen Augen glomm tiefe Bestürzung.
Das war nicht mehr der makellose, elegante Seigneur, der den Hof von Winchester mit seinem Aussehen und seiner Haltung bezaubert hatte. Vor ihr stand ein gezeichneter Krieger, der eben jene Welle von Zorn und Verzweiflung ausstrahlte, die sie einst so erschüttert hatte, dass sie sich mit der Sticknadel gestochen hatte. An einem Herbsttag in Winchester. Ahnungslos und doch schon damals in der bedrückenden Gewissheit, dass sie nichts tun konnte, um seine schlimmen Wunden zu heilen.
»Sorgt Euch nicht, ich werde Euch in Kürze von meinem Anblick befreien«, entgegnete er leichthin und trat einen Schritt zurück, damit ihre Hand ihn nicht länger berührte. Dass sein Herz nach dieser Geste schmerzhaft gegen das Gefängnis aus Rippen hämmerte und er sich beherrschen musste, nicht begierig nach ihr zu greifen, verbarg er hinter lässigem Sarkasmus.
»Wer hat das getan?«, wisperte Roselynne und bekämpfte den mörderischen Wunsch, den Attentäter mit eigener Hand zu töten.
»Einer Eurer Landsleute, Lady«, gab der Graf die gewünschte Auskunft und sah an ihr vorbei zum Altar des Gotteshauses. »Leider habe ich versäumt, mir seinen Namen geben zu lassen.«
»Ihr spottet«, flüsterte sie heiser. »Sogar jetzt könnt Ihr noch spotten.«
»Wäre Euch mein Zorn lieber?«, erkundigte er sich mit einem Laut des Überdrusses und deutlich gezügelter Ungeduld. »Mein Aufbegehren gegen Befehle, die mir keine Wahl lassen? Ich bin der Erklärungen müde. Lasst uns beginnen, umso schneller haben wir es hinter uns. Ich will mich nicht mit Euch streiten.«
»Warum stimmt Ihr dieser Torheit zu?«, fragte Roselynne leise.
»Weil ich mein Wort gegeben habe.« Justin warf ihr einen Blick zu. Seine Augen funkelten in einer Erregung, die Roselynne nicht einordnen konnte und die sie für Zorn hielt. »Ich pflege mein Wort zu halten, Lady. Auch wenn es mit Unannehmlichkeiten für meine Person verbunden ist. Ich weiß, dass Ihr das nicht verstehen könnt.«
Roselynne schwankte ein wenig. Sie erkannte eine Beleidigung, wenn sie ausgesprochen wurde. Schon wieder warf er ihr Lüge und Verrat vor.
Ryan of Hythes Hand fuhr nach vorne, um sie zu stützen. Er bewunderte die Haltung, die sie bewies, aber gleichzeitig fürchtete er den für sie so typischen Charakterzug, der sie daran hinderte, nachzugeben und einen Fehler einzugestehen.
Warum wehrte sie sich so hartnäckig gegen jede Verbindung mit dem Normannen? Warum war sie so blind für die Gefühle, die Justin d'Amonceux ins Gesicht geschrieben standen? Welcher schlimme Trugschluss trieb sie dazu, ihn noch tiefer zu verletzen, statt ihm endlich die Hand zu reichen?
Roselynne nahm dankbar Ryans Hand, bevor sie sich wieder dem Grafen zuwandte. Mit Macht verbannte sie die eigenen aufgewühlten Gefühle. »Dann lasst es uns endlich zu Ende bringen«, hauchte sie kaum hörbar.
»Es geht dir gut?«, murmelte der Baron nur für sie bestimmt, während der Graf düster voran zum Altar schritt, als könnte er es tatsächlich kaum erwarten.
»Hab einen Augenblick Geduld«, flüsterte Roselynne und senkte die Lider im Bemühen, sich zu fassen. Auch wenn sie darauf vorbereitet gewesen war, Justin zu sehen, so jagte ihr der gezeichnete Haudegen, der den eleganten Höfling ersetzt hatte, unbestimmte Furcht ein. Wie konnte sie daran denken, ihn zu täuschen?
Der Baron fühlte ihr Zittern, dann war der Moment der Schwäche wieder vorbei. Mit einem tiefen Atemzug hob sie das Kinn, eine Geste, welche die Äbtissin und den Priester in Bewegung brachte, die im Schatten neben dem Hochaltar gewartet hatten. Nur Roselynnes eisige Finger verrieten noch die Anspannung, unter der sie stand.
Als Ryan of Hythe diese kalten Finger in die ausgestreckte Hand des Ritters legte, begegneten sich die Blicke der beiden Männer. Fragend, fast bittend die des Barons. Unmenschlich beherrscht und ohne jede Gefühlsregung die des Bräutigams.
Auch Roselynne hob die Lider und blickte fragend in die klaren Saphiraugen. Sie fand weder Zorn noch Bestürzung darin, nur die gefährliche Ruhe eines zutiefst disziplinierten Mannes. Dabei zweifelte sie nicht einen Augenblick daran, dass es in ihm brodelte, aufbegehrte und protestierte. Es gefiel ihm nicht, zu einer Ehe mit einer Frau gezwungen zu
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