HERZ HINTER DORNEN
schaffen, den König zu beruhigen und alles Nötige zu veranlassen, schienen ihm plötzlich nichtig und albern. Er hatte sich von Mutter Laurentine in ein Komplott einbinden lassen, das ihm immer mehr missfiel. Warum waren eigentlich so viele Geheimnisse und Lügen nötig, um eine Ehe zu schließen, die Anstand und gute Sitten ohnehin forderten?
»So schwört!« Mürrisch hob er das Schwert und Justin d'Amonceux legte die langen, rassigen Finger seiner Rechten auf den geschliffenen Smaragd, der das Ende des Griffes verzierte.
»Ich schwöre bei den schäbigen Resten meiner Ehre, die Dame zu heiraten, die der König für mich ausgewählt hat und sie danach von meiner Person und meiner Gegenwart zu befreien. Genügt das? Die Ehre meiner Familie oder gar die meines Vaters zu beschwören würde dem Eid nur Abbruch tun. Beide sind nicht das, was man gemeinhin von ihnen denkt.«
Die Wut des Barons verrauchte unter dem Anflug der heißen Qual, der kurz in den Augen des Normannen aufflackerte. Auch er hatte unter der Macht eines dominanten Vaters gelitten, und nicht das erste Mal bedauerte er, dass das Schicksal es nicht erlaubte, dass sie Freunde wurden. Zum Donner, langsam wurde er so launisch wie das Fräulein, für das er all diese Ränke schmiedete.
»Ich vertraue Euch«, murmelte er grimmig. »Kommt mit und erinnert Euch an diesen Eid, wenn Ihr feststellen solltet, dass Euch etwas nicht passt.«
Es hörte sich an wie eine Warnung, aber der Graf hatte keine Lust, darauf zu hören. Die Erde der Normandie brannte unter seinen Füßen.
»Du musst es tun, es ist der Wille des Königs!«
Mutter Laurentine umklammerte die Kanten des geschnitzten Betstuhls, als könnte sie aus der Berührung des frommen Möbels Kraft ziehen. Es war keine direkte Lüge, die sie aussprach, und dennoch hatte sie ein unbehagliches Gefühl. Sie verdrehte die Wahrheit, und eigentlich war das eine Sünde. Wenn auch eine, die sie leichten Herzens auf sich nahm und für die sie gern büßen wollte.
Roselynne starrte auf die steifen Schriftzüge des Briefes, den ihr die Mutter Oberin gegeben hatte. Der Befehl war knapp und unmissverständlich. Seine Majestät drückte sein königliches Missfallen über ihre Eigenmächtigkeiten aus. Sie hatte es gewagt, sich seinem Einfluss zu entziehen, obwohl sie nie offiziell aus den Diensten seiner Schwester entlassen worden war. Er pochte auf sein Recht, über ihr Leben zu bestimmen, und alles in ihr drängte danach, zu protestieren und sich dagegen zu verwahren.
Aber da war noch ein weiterer Absatz in diesem Brief, der sie innehalten ließ und jeden Protest in ihrer Kehle erstickte.
»Ich lege es in Eure Hände«, hatte Rufus in seiner üblichen Schroffheit dem Schreiber diktiert. »Brecht den Stab über ihn, dann wird er dem Henker ausgeliefert und sühnt für seinen Verrat. Indes will ich nicht versäumen, dieses Leben wenigstens zur Lösung Eurer Schwierigkeiten anzubieten. Heiratet ihn. Der Titel der Gräfin von d'Amonceux ist wertvoll genug, um jeden noch so versteckten Skandal zu tilgen. Auf diese Weise wäre er wenigstens noch zu etwas Nutze. In diesem Fall wäre ich damit einverstanden, das Todesurteil in lebenslange Verbannung umzuwandeln. Wie auch immer Ihr Euch entscheidet, Ihr tut es in meinem Namen und müsst keinen Vorwurf fürchten.«
Roselynnes fest zusammengepressten Lippen entschlüpfte ein Seufzer, der bei Mutter Laurentine ein Echo fand. Auch sie war sehr erschrocken darüber, mit welcher Rücksichtslosigkeit König Rufus über ein Leben entschied. Wie würde das Mädchen entscheiden? Wie senkte sich die Waagschale zwischen Hass und Liebe?
Die junge Frau ahnte, was in der Klosterfrau vorging. Unwillkürlich berührte sie die Wölbung ihres Leibes, die unter der Kutte zwar nicht zu sehen war, deren Gewicht aber von Tag zu Tag schwerer wurde. Glaubte sie denn allen Ernstes, sie würde den Vater dieses Kindes dem Henker ausliefern?
»Ich könnte dich nicht einmal schelten«, hörte sie die Nonne auf ihre stumme Frage antworten. »Es wäre nur menschlich, wenn du die Gelegenheit zur Rache wahrnähmest.«
»Welches ist denn die Rache?«, entgegnete Roselynne mit einer Klarheit, die sie selbst erstaunte. »Begreift Ihr es nicht, ehrwürdige Mutter? Er wünscht sich den Tod. Er ist an der eigenen Ehre gescheitert, und alles, was er tut, ist für ihn nur noch Stückwerk. Es steckt eine Verzweiflung in ihm, in der alle Freude und alles Licht wie in einem Morast versinken. Ich habe diese
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