HERZ HINTER DORNEN
Gebeine sollen im Staub vor ihrem Sarg verrotten!«
»Lasst mich! Geht zur Seite! Ihr habt nichts damit zu schaffen!« Auch Justin kämpfte wie hitzig gegen den Baron, der seine beträchtliche Körperkraft einsetzen musste, um ihn außer Reichweite der gefährlichen Waffe zu halten. »Ich werde mich nicht wie ein Feigling hinter Eurem Rücken verstecken, während da oben meine Frau mit dem Tode ringt!«
Justins eisenharte Faust schleuderte den Baron gegen das steinerne Maßwerk der Treppe. Mit der gleichen, blitzschnellen Bewegung stand er neben dem Ritter auf der ersten Stufe und packte mit der Rechten dessen Schwerthand, um sie mitsamt der gefährlichen Waffe kampfunfähig niederzudrücken. Mit einem Male herrschte bis auf das angestrengte Keuchen der Männer eine tödliche Stille in dem prachtvollen Treppenhaus.
An Raynal de Cambremers Nacken traten die mächtigen Adern und Sehnen vor Anstrengung hervor. Die Knöchel an der Hand des Normannen schimmerten weiß, und die Narbe in seinem Gesicht flammte wie Feuer.
Beide wichen keinen Zoll von der Stelle. Justin d'Amonceux erinnerte sich nur zu gut an den kalten grünen Blick des Lords, der die schönen Augen seiner älteren Tochter in der Version aus Eis besaß, wenn man ihn verärgerte. Schon damals hatte er keine große Lust gezeigt, den eleganten Normannen als Schwiegersohn willkommen zu heißen. Inzwischen hatte sich die Abneigung in blanke Feindschaft verwandelt, und er konnte es ihm nicht einmal verübeln. Der Lord hatte allen Grund, ihn zu hassen.
»Verflixt noch mal, was geht hier vor? Seid ihr närrisch geworden?«
Lady Liliana eilte mit flüchtig gerafften Röcken aus dem ersten Stock herab und legte eine sanfte beringte Fland auf die verkrampfte Faust des jungen Mannes. Sie übte keinerlei Druck aus, aber sowohl Raynal de Cambremer wie der junge Graf fühlten die Macht ihrer Persönlichkeit und akzeptierten ihr Eingreifen. Sie atmeten aus und ihre verkrampften Muskeln lockerten sich.
Liliana de Cambremer war das ältere, gereifte Ebenbild ihrer Tochter Roselynne. An den Schläfen zeigten ihre hochgesteckten nachtschwarzen Haare einen höchst attraktiven Silberschimmer und um Mund- und Augenwinkel hatten Sonne, Lachen und Leben zahllose kleine Fältchen gegraben. Trotzdem verströmte sie noch immer den zeitlosen Charme der wilden Sachsenprinzessin, in die sich damals der normannische Eroberer vor mehr als zwei Jahrzehnten hoffnungslos verliebt hatte.
Das Lächeln, das sie ihrem Gatten zuwarf, enthielt sowohl Verständnis für seine Reaktion als auch die unwandelbare Zuneigung ihres Herzens. Als sie den Kopf zu Justin wandte, änderte es sich. Nun enthielt es eine Mischung aus milder Resignation und erleichterter Begrüßung. Er konnte nicht wissen, dass er die Antwort auf ihre Gebete war.
»Könnt ihr euch bitte ein wenig später umbringen?«, bat sie trocken. »Fürs Erste würde ich diesen jungen Mann gern mit nach oben nehmen. Natürlich nur, wenn Ihr mir auf das Heil Eurer Seele versprecht, dass Ihr meine Tochter nicht von neuem kränken werdet.«
»Bitte sagt mir: Ist sie wirklich in Gefahr?«, ächzte Justin d'Amonceux mit einer Stimme, die er kaum als die seine erkannte.
»Ist sie es, die Ihr liebt?«, antwortete sie mit einer harten Gegenfrage. »Oder habt Ihr einfach nur die Schwester gewechselt, um Euch zu bestätigen oder vielleicht sogar zu rächen?«
Es war erbarmungslos, was sie ihm vorwarf. Auch ziemlich ungerecht, aber sie musste es von ihm hören, ehe sie ihm erlaubte, die junge Frau zu sehen, die sich so ausweglos in ihrem Stolz und ihrer Liebe verstrickt hatte. Nur wenn er die richtigen Worte fand, war er die Hilfe, die sie alle so dringend benötigten.
Justin d'Amonceux war sich der Tatsache bewusst, dass alle Augen mit den unterschiedlichsten Gefühlen an ihm hingen. Jene von Roselynnes Vater mit der nackten Drohung von Gewalt, die des Barons in freundschaftlichem Mitgefühl und die der Lady in unbarmherziger Forderung. Was konnte er sagen, damit jeder von ihnen begriff, wie tödlich ernst es ihm war? Dass er nur noch lebte, um Roselynne für den Kummer zu entschädigen, den sie durch ihn erlitten hatte?
»Es gibt auf dieser Welt keine Entschuldigung für das, was ich aus Dummheit und falschem Stolz getan habe«, sagte er nach einem tiefen Atemzug mit heiserer Stimme. »Aber wenn Ihr mein Leben wollt, um das Ihre zu retten, so nehmt es.«
Es war die klare Knappheit dieser Aussage, die Lady Liliana überzeugte. Dies war
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