HERZ HINTER DORNEN
jetzt nicht der Zeitpunkt für Debatten. Sie packte ihn am Arm und zog ihn die Treppe hinauf. »Kommt, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Ryan of Hythe sah dem Paar nach, dann fasste er den Lord ins Auge, der nun mit stummer Erbitterung sein Schwert in die Scheide zurückschob. Er trat zu ihm und nahm ihn am Arm, ohne dass ihm bewusst wurde, dass er eine derartige Vertrautheit zum erstenmal wagte.
»Komm mit in die Küche«, sagte er freundschaftlich. »Du bist, ohne Aufenthalt von der Küste nach Rouen geritten. Du musst hungrig und durstig sein. Wir können ihnen nicht helfen dort oben, aber vielleicht werden wir in dieser Nacht noch Kraft und Ruhe brauchen.«
»Und er?«, knurrte der Lord. »Was, zur Hölle, kann er helfen?«
»Der Himmel hat Lady Liliana und dir die Gnade von fünf gesunden Kindern geschenkt. Fragst du mich dies allen Ernstes, nachdem du fünf Mal erlebt hast, was eine Geburt bedeutet?«
Raynal de Cambremer bellte etwas, das sich sehr nach Eingebildeter Laffe!< anhörte, aber er folgte Ryan ohne weiteren Einspruch in Richtung der Küchengewölbe.
26. Kapitel
Roselynne war aus der ersten Ohnmacht, die halb vom Schock, halb vom Schmerz verursacht worden war, in eine Welt der Qual zurückgekehrt. Sie klammerte sich mit aller Kraft an Sophia-Roses schmale Hände und fragte ihre Schwester mit dem winzigen bisschen Luft, das ihr zwischen zwei Wehen blieb: »War es ... bei dir ... auch so grässlich ... aaah ...«
Der Baronin von Aylesbury blieb die Antwort erspart, denn Roselynne konnte sie ohnehin nicht mehr hören. Die viel zu schmächtige Gestalt wand sich vor Pein auf ihrem Lager. Ihr Zittern übertrug sich auf die leichte Decke, die Lady Liliana über sie gebreitet hatte, nachdem sie Roselynne gemeinsam aus ihren feuchten Kleidern befreit und in ein loses, sauberes Hemd gehüllt hatten. Inzwischen klebte dieses Kleidungsstück schweißfeucht auf ihrer Haut.
Nein, so war es bei ihr nie gewesen, erinnerte sich Sophia-Rose bedrückt. Schmerzvoll, langwierig, anstrengend und manchmal auch bis an die Grenzen ihrer Kräfte gehend, aber nie so bedrohlich und offensichtlich lebensgefährlich wie bei Roselynne. Dieses Kind, das alle Welt in solche Aufregung versetzte, schien sich ebenso wie seine Mutter nicht entscheiden zu können, ob es nun leben wollte oder nicht.
Sie konnte Justin d'Amonceux nicht zürnen, wie ihr Vater das tat; in ihr war immer noch ein Rest der Zuneigung, die sie für ihn empfunden hatte. Trotzdem wünschte sie, er könnte sehen, was er ihrer kleinen Schwester angetan hatte. Dann würde er vielleicht den Unterschied zwischen verletztem Stolz und echtem Leid erkennen.
Sie war auf reine Vermutungen angewiesen, wenn es um die Bande ging, die Roselynne an den normannischen Edelmann fesselten. Ihre Schwester selbst hatte ihn mit keinem Wort erwähnt, und den Dingen, die ihr Gemahl verriet, misstraute sie ein wenig, da sie um seine verständliche Eifersucht wusste.
Aber Handlungen aus verletztem Stolz heraus passten durchaus zu dem Edelmann, dem sie einmal versprochen gewesen war, hingegen nicht die blinde Leidenschaft oder die dummen Fehler, die gewöhnliche Menschen begingen, wenn sie sich ausweglos in die Liebe verstrickten. Dazu war er zu distanziert, zu überzeugt vom eigenen Wert und der eigenen Würde.
Sie hatte ihm gewünscht, dass er eine Frau finden möge, die ihn den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe lehrte. Allein, sie hatte nicht geahnt, dass diese Frau die eigene Schwester sein würde und dass das arme Geschöpf diese Lehrstunde vielleicht sogar mit seinem Leben bezahlen musste.
Sie erinnerte sich an eine ferne Auseinandersetzung mit ihrer Schwester, als jene ihr Vorwürfe machte, weil sie Justin d'Amonceux davon schickte. »Du bist uns fremd geworden!«, hatte sie damals geklagt, und nun war sie es, die ihrer großen Schwester fremd geworden war. Aus der Kleinen mit den schwärmerischen Augen war eine leidende Frau geworden, die ihre Geheimnisse nicht einmal mit ihrer Schwester teilen wollte.
»Schscht!« Sie tupfte Roselynne die Stirn mit kühlem Lavendelwasser ab. »Es geht vorbei, du wirst es sehen. Du darfst dich nicht so sehr dagegen wehren, kleine Schwester! Lass es geschehen ...«
»Ich darf nicht. Es ... es ist zu früh ...«, keuchte die Schwangere und rang nach Luft.
»Du musst der Natur ihren Lauf lassen. Du kannst nichts mehr tun, entspann dich. Du gefährdest dich und dein Kind mit dem, was du tust!«
Die Ratschläge trafen auf
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