HERZ HINTER DORNEN
sie sich entrüstet. »Ich bin Euch für Eure Hilfe verbunden, aber ich schulde Euch keine Rechenschaft über mein Betragen, Seigneur. Es ist der Schotte, der den guten Ton verletzt hat. Nicht ich.«
»Je nun, macht es aber auf jeden Fall nicht zu Eurer Angewohnheit, mit meiner Hilfe zu rechnen, wenn Ihr Euch in Gefahr begebt«, entgegnete er müde und entfernte ein unsichtbares Staubfusselchen von seinem Ärmel. Erst danach bedachte er sie mit seinem unnahbaren Blick, der sie verdrießlich und unruhig machte. Sie hätte die Distanz schätzen sollen, die er spiegelte, aber es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass er auf Abstand ging, statt zu akzeptieren, dass sie es tun wollte. Was für eine närrische Situation. Wo blieb nur ihre Vernunft? Ihre Ruhe?
»Habt Ihr eigentlich keinen Verlobten, der Euch beschützt? Dem Eure Ehre am Herzen liegt?«, erkundigte er sich wie ein gelangweilter Vater, der nach der Kinderfrau für ein ungebärdiges kleines Mädchen forscht.
Roselynne errötete. Es war das erste persönliche Gespräch, das sie seit jenem Zusammenstoß auf der Landstraße führten, und es lief nicht so, wie sie es sich gewünscht hätte. Er hatte also nicht die kleinste Erkundigung nach ihr eingezogen, sonst könnte er keine solche Frage stellen.
Auch der dümmste Küchenjunge in Winchester wusste über ihre hartnäckige Weigerung Bescheid, die glanzvollen Partien anzunehmen, die ihr angetragen wurden. Alle Welt tratschte über die Tatsache, dass sie in ihrem Alter noch keinen Gemahl besaß und dass ihr Vater diese Grillen duldete und unterstützte.
»Ich habe gelernt, für mich selbst einzutreten, Seigneur«, murmelte sie hochnäsig.
»Welch ein Unsinn!«, machte er jeden Versuch zunichte, ihr Ansehen und ihre persönliche Unabhängigkeit hervorzuheben. »Wie Euch das gelingt, haben wir ja gesehen. Vor ein paar Tagen hättet Ihr Euch auf einem durchgehenden Pferd fast den Hals gebrochen, und jetzt tändelt Ihr mit einem Mann herum, der Euch in einem Happen zum Morgenmahl verspeisen könnte. Welche Einfalt in einem so hübschen Kopf!«
»Ihr vergesst Euch!«, protestierte sie aufgebracht. »Ich bin Euch dankbar für Eure Hilfe, aber Ihr habt nicht das Recht, mich herunterzuputzen, als wäre ich Euer ungehorsamer Knappe. Habt Ihr nicht eben dem Grafen fehlende höfische Sitten vorgeworfen?«
Sie konnte keinerlei Reaktion in den allzu schönen, ungerührten Zügen entdecken. Wenn sie einmal von der Andeutung eines spöttischen Hebens der Mundwinkel absah, war sein Gesicht so blank wie die Wasserfläche eines Teichs an einem windstillen Tag.
Gütiger Himmel, wieso wurden ihre eben noch geordneten, klaren Gedanken zu einem wirren Durcheinander, wenn sie ihn ansah? Was war das für eine Wärme, die sie vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen überflutete? Wie musste sie das schmerzliche Sehnen einordnen, das irgendwo in den Tiefen ihres Leibes erwachte und allen Zorn und alle Empörung unter sich begrub?
»Ihr seid zu jung und zu schön, um allein zu sein, Dame Roselynne«, hörte sie seine Stimme durch die betäubende Wolke der eigenen Gedanken flüstern. »Habt ein wenig Erbarmen mit dem armen Geschlecht der Männer und seinen niederen Wünschen. Es hält anmutige Damen für Trophäen, die man erobern und besitzen muss. Nehmt Euch den reichsten und stärksten dieser Tröpfe und beendet das unwürdige Gezerre um Eure Person, dann müsst Ihr keine unliebsamen Aufmerksamkeiten mehr fürchten.«
Roselynnes zarte Empfindungen erstarben unter dem eiskalten Guss dieses dreisten Ratschlags und machten umgehend einem Jähzorn Platz, den sie aus dem kriegerischen Erbe ihres Vaters für sich beanspruchte.
»Ist das die Sprache, in der Ihr die Damen des Hofes umgarnt, Seigneur?«, fauchte sie unwillig. »Ihr mögt mich für eine einfältige Gans halten, aber ich habe sehr wohl gelernt, hinter die Masken der Menschen zu schauen. Eure Seigneur, verbirgt beispielsweise einen Mann, der nicht die Wahrheit sagt.«
Seine Finger schossen vor und umfassten das zierliche Handgelenk knapp unter Roselynnes wütend geballter, kleiner Faust. Sie spürte die gebändigte Kraft dieses Griffes, aber auch die Wärme und den intensiven, befremdlichen Kontakt, den er über die bloße Berührung hinaus verursachte. Zum ersten Mal spürte sie die Wärme seines Griffes und seiner Haut, da er an diesem Tag keine Handschuhe trug. Der Effekt war verheerend.
Es fühlte sich an, als würde sich sein Blut mit dem ihren mischen und durch ihren
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