HERZ HINTER DORNEN
obwohl leise, immer deutlicher. Nur das efeubewachsene, hölzerne Rankenwerk an der Rückseite des alten Zufluchtsortes trennte sie von den beiden Männern, die offensichtlich genau jene Bank ansteuerten, auf der sie noch eben gesessen hatte. Sie wagte kaum zu atmen, als sie zu allem Überfluss auch noch den rauen-schottischen Akzent des Grafen von Duncan erkannte.
»Ihr habt Euch reichlich Zeit gelassen«, knurrte er gerade. »Ich war nahe daran, nach Hause zu reiten, ohne weiter auf den angekündigten Boten des Herzogs von Anjou zu warten.«
»Sicher habt Ihr Verständnis dafür, dass ich mich erst Eurer Person versichern musste.«
Auch diese Stimme kannte Roselynne nur zu gut und sie biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Was hatte Justin d'Amonceux mit dem Gesandten des Königs von Schottland auf so geheime Weise zu besprechen?
»Indem ihr mich mit dem Dolch bedroht?«, bellte der Schotte mit nur mühsam gebändigtem Ungestüm. »Ist das die Art der Normannen, mit ihren möglichen Verbündeten umzugehen?«
»Einer Dame in Not zur Seite zu stehen gebietet die Ehre eines Ritters. Wenn Ihr den Gesandten spielt, solltet Ihr Euch auch die Manieren eines Gesandten zulegen«, parierte der andere kalt und logisch.
Roselynne hörte den Schotten knurren, ehe er sich einem anderen Thema zuwandte. »Was soll ich meinem König berichten? Wie hat sich Robert Kurzhose entschieden? Was bietet er, wenn der dritte Malcolm Mac-Duncan und seine Männer die Truppen verstärken, die er seinem Herrn Bruder entgegen schleudert?«
Roselynne vergaß zu atmen. Gelähmt von der Ungeheuerlichkeit des Komplotts und der Person, die es ausführte, lauschte sie dem detaillierten Angebot von Städten und Küsten, die unter die Regentschaft des schottischen Königs fallen sollten. Der Judaslohn dafür, dass Malcolm Rufus von der Nordseite angriff, während Robert über die südliche Küste kommen wollte. Wenn sein Bruder seine Kräfte teilen musste, geriet England in größte Gefahr, denn da waren auch noch die Dänen, die sich ebenfalls Vorteile von diesem Bruderkrieg erhofften und nur auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff warteten.
»Welchen Beweis kann ich meinem König nach Hause bringen, dass Euer Herr sich an die Abmachungen hält?«, fragte der Schotte am Ende.
Roselynne vernahm das Rascheln eines Gewandes, eine Beutelschließe und schließlich die trockene Stimme des Seigneurs von Luthais. »Der Herzog schickt Eurem König diesen Ring mit seinem Wappen. Als Signal für den Angriff wird der Herrscher der Schotten im nächsten Frühjahr das Gegenstück dazu erhalten. Kurzhose plant sein Heer in der Osterwoche über den Kanal zu bringen, wenn es das Wetter zulässt, und sein Bote wird Euch rechtzeitig den genauen Termin für den Angriff mitsamt dem zweiten Reif übermitteln. Wann wollt Ihr aufbrechen?«
»Das lasst meine Sorge sein«, lehnte der Schotte genauere Auskünfte ab. »Ich habe gelernt, meine Pläne für mich zu behalten.«
»Umso besser, Graf!«, entgegnete Loup de Luthais kalt. »Gott befohlen.«
Seine Schritte entfernten sich knirschend. Wenig später vernahm Roselynne ein leises Knurren und dann verschwand auch der Schotte im Dunkel der Nacht.
Sie wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, bis Körper und Geist ihr wieder gehorchten. Mit zitternden Knien verließ sie ihr Versteck und versuchte trotz des Hämmerns hinter ihren Schläfen eine Entscheidung zu treffen. Was sollte sie mit dem unverhofften Wissen anfangen, das ihr diese Nacht verschafft hatte? Zum König laufen? Ihren Vater benachrichtigen? Die Reaktion darauf konnte sie sich bei dem einen wie dem anderen unschwer vorstellen.
In beider Augen war Justin d'Amonceux ein ebensolcher Hochverräter wie der schottische Graf. Aber während man Letzteren vermutlich in seine Heimat entkommen ließe, um König Malcolm nicht zu warnen, bevor man die nötigen Maßnahmen getroffen hätte, würde der Normanne ohne Verzug im Kerker landen. Folter und schmachvoller Tod warteten auf ihn.
»Nein!«
Roselynne flüsterte die Silbe mit schmerzender Kehle in die Nacht hinaus und rang vor lauter Hilflosigkeit die Hände. Was auch immer geschah, sie wollte nie der Anlass dafür sein, dass dem Mann, den sie eben erst wieder gefunden hatte, ein Leid geschah. Er war kein Verräter! Er diente seinem Fürsten mit derselben Bedingungslosigkeit, wie es ihr Vater und ihr Schwager bei Rufus taten. Er hatte die Zwietracht zwischen den Brüdern nicht gesät, er litt nur
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