HERZ HINTER DORNEN
Irgendwann weit nach Mitternacht war auch dann Dame Elisabetta in ihr Gemach verschwunden, aber ihr jüngster Sohn war geblieben und mit ihm der Baron.
Jetzt reckte sich Ryan und bewegte die Schultern, ehe er nach einem herzhaften Gähnen mit allen zehn Fingern durch die blonden Strähnen seines wirren Schopfes fuhr. Ein tiefer Atemzug weitete seine Lungen, dann wandte er sich an den Lord, der aussah, als wäre er in den vergangenen Stunden zu Stein geworden.
»Der Morgen ist da, Vater ...«
Plötzlich hörte er Schritte und die Tür schwang auf. Er entdeckte seine Gemahlin im selben Augenblick wie sie ihn. Sophia-Rose lief einfach los und warf sich mit einem trockenen Aufschluchzen in seine ausgebreiteten Arme.
»Um Gottes willen«, murmelte der Baron bestürzt. »Du willst doch nicht etwa sagen, dass ...«
Die Worte fehlten ihm, und Raynal de Cambremer stemmte sich schwerfällig aus seinem Sitz hoch.
»Bei Gott, Sophia, hör auf zu flennen und sag uns, was geschehen ist«, fuhr er sie barsch an.
Sie hob den Kopf und schenkte beiden Männern endlich ein zitterndes Lächeln. Ihre schönen grünen Augen schwammen in Tränen, und die vergangenen Stunden hatten tiefe Schatten der Erschöpfung unter ihre Augen gelegt. Dennoch sah sie nicht aus wie eine Frau, die ihre Schwester betrauerte.
»Es ist vorbei«, stammelte sie. »Roselynne hat eine Tochter geboren, wie sie es vorhergesagt hat. Ein winziges Dingelchen, aber kräftig genug, um mörderisch zu schreien. Man kann noch nicht viel sagen, aber es sieht so aus, als könnten wir sie mit ein bisschen Glück am Leben erhalten. Sie trinkt, und das ist viel wert....«
»Und Roselynne?«
»Schwächer als ihre Tochter, zu Tode erschöpft, aber sie atmet. Wenn sie nicht noch einmal zu bluten anfängt, können wir auch für sie hoffen.«
»Dem Himmel sei Dank«, ächzte der Lord und war schon halb aus dem Raum, ehe Sophia-Rose ihm nachrufen konnte: »Sie schläft, sei behutsam und leise. Sie braucht diesen Schlaf!«
»Lass ihn«, murmelte Ryan und küsste die Stirn seiner Gemahlin. »Er muss sie sehen, damit er es glaubt. Es waren schlimme Stunden für ihn.«
»Wem sagst du das«, seufzte Sophia-Rose. »Ich habe noch nie eine solche Nacht erlebt und möchte dergleichen auch kein zweites Mal erleben. Ohne Justin d'Amonceux hätte sie in einer Katastrophe geendet ...«
»Was hat er getan?«
»Ich kann's dir nicht sagen. Er hat auf Roselynne eingeredet, bis ihm die Stimme versagte. Er hat sie angefleht, gescholten, gefordert, gebeten und beschimpft. Er hat sie mit der Gewalt seiner Gefühle am Leben erhalten. Es war seine Kraft, die am Ende dieses Kind gerettet hat. Ohne ihn hätte Roselynne einfach aufgegeben. Keine Frau hätte diese Nacht ohne Hilfe bewältigt.«
»Er liebt sie.«
»Daran gibt es weiß Gott keinen Zweifel«, stimmte seine Gemahlin zu. »Er weigert sich, ihre Seite zu verlassen, bis sie außer Gefahr ist. Ich hoffe nur, Papa nimmt davon Abstand, ihn in der Wochenstube mit seinem dummen Schwert zu durchbohren.«
Was immer der Lord von Hawkstone vorgehabt hatte, die Szene am Alkoven seiner Tochter entwaffnete ihn. Roselynne lag zwischen frischen Kissen, die Augen geschlossen, aber ihre Brust hob und senkte sich regelmäßig. An ihrer Seite saß der Normanne, die Finger seiner Gemahlin in einer schlanken, sehnigen Hand, die Augen ohne Unterlass auf ihr Antlitz gerichtet.
Er machte ein Eindruck eines Mannes, dessen Welt sich auf dieses Gesicht reduziert hatte. Er sah weder auf, noch bewegte er sich, als der Lord an die Seite seiner Gemahlin trat, die eben das Körbchen mit dem Neugeborenen noch näher an das Feuer im Kamin rückte.
»Deine Enkelin braucht Wärme«, flüsterte sie und deutete auf ein winziges Köpfchen, das unter einer Haube förmlich verschwand. Es bestand eigentlich nur aus zusammengekniffenen Falten und einem kaum sichtbaren Stupsnäschen.
»Himmel, wie klein sie ist ...«
»Aber gesund und wohlgestaltet«, beruhigte ihn Lady Liliana. »Im Augenblick können wir sie nur schlafen lassen. Alle beide.«
»Und er?« Die schroffe Kopfbewegung des Lords verriet eine Menge über seine höchst widersprüchlichen Gefühle für den Mann an Roselynnes Bett.
»Lass ihn. Sie scheint es zu spüren, wenn er bei ihr ist. Seine Gegenwart gibt ihr Kraft, und die braucht sie nötiger denn je. Sie hat ihre Wahl getroffen, und wenn du mich fragst, ist es keine schlechte Wahl.«
Raynal de Cambremer zwang sich, nicht zu dem Normannen, sondern in
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