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HERZ HINTER DORNEN

HERZ HINTER DORNEN

Titel: HERZ HINTER DORNEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ihm die Stadt am großen Fluss gefiel, sondern weil er es für geraten hielt, sie von Zeit zu Zeit mit der Macht der Krone zu konfrontieren.
    Sie hatte keine Ahnung, ob die Stadt bereits hinter ihnen lag. Hatte der Schotte nicht behauptet, sie wäre einen ganzen Tag ohne Bewusstsein gewesen? Hatten sie diese Zeit damit verbracht, darauf zu warten, dass sie wieder erwachte, oder waren sie geritten? Ihr fehlte jede Erinnerung an die Zeit zwischen dem Verlassen der Morgenmesse und ihrem Erwachen in dem provisorischen Lager.
    Für sie selbst war es kein Wunder, dass ihre Ohnmacht so tief und todesähnlich gewesen war, nachdem man ihr unerwartet die Luft geraubt hatte. Immerhin hatte sie einen anstrengenden Tag und eine noch anstrengendere Nacht ohne jeden Schlaf hinter sich gehabt, als sie auf so rüde Art aus ihrem behüteten Dasein gerissen worden war. Ärgerlich war nur, dass sie wieder zu sich gekommen war.
    Was hatte der Schotte mit ihr vor? Die Narretei mit der Mutter seiner Söhne wollte sie ihm nicht glauben. Er kam ihr nicht vor wie ein Mann, der von der eigenen Leidenschaft oder den eigenen Gefühlen überwältigt wurde. Wenn dieser Bär überhaupt Gefühle hatte, dann lediglich die eines Holzklotzes. Nur schaudernd erinnerte sie sich an seine groben Versuche, ihre Zuneigung zu erobern. Er hatte Vergewaltigung im Sinn, und er würde sie umbringen, wenn er sich ihr auf zwang.
    Aus den Augenwinkeln sah sie die mächtigen Schultern, die behaarten Pranken, welche die Zügel des Streitrosses kurz hielten, und die Furcht erregenden Schenkel, die gleich Baumstämmen um den Leib des Pferdes lagen. Neben dem Dunst nach Rössern, nasser Wolle und Eisen entlarvte ihre empfindliche Nase auch Männerschweiß, Leder und Ale. Jeder Pferdeknecht in Hawkstone hielt sich sauberer und ordentlicher als dieser Barbar!
    Roselynne unterdrückte ein neuerliches Schluchzen und versuchte ihre aufkommende Panik mit nüchterner Logik zu bekämpfen. Worüber beschwerte sie sich eigentlich? Der Himmel hatte ihren Wunsch erfüllt. Da sie versäumt hatte, die Umstände in ihrem Gebet zu präzisieren, musste sie sich wohl oder übel damit abfinden. Das Schicksal hatte sie vor einer grauenvollen Entscheidung bewahrt und präsentierte ihr jetzt seine Rechnung. Der Handel galt und musste bezahlt werden, so viel wusste sogar ein überaus behütet aufgewachsenes Edelfräulein.
    Sie ahnte nicht, dass der Schotte jede Regung ihrer bleichen Züge belauerte. Dass er sah, wie sie ihre Zähne in die Unterlippe grub, und die kleine Bewegung registrierte, mit der sie resigniert, aber dennoch tapfer die Schultern straffte. Er hatte mit Tränen gerechnet, mit Flehen und Flüchen, mit Beschimpfungen und jener zappelnden Hysterie, die auch die besten Frauen an den Tag legten, wenn sie nicht bekamen, wonach ihnen der Sinn stand. Die todesähnliche Starre, mit der sich diese kleine Lady in ihr Los fügte, besorgte und erstaunte ihn zugleich.
    Woher nahm sie den Mut, mit geradezu gleichgültiger Verachtung keine Frage zu stellen und kein einziges Wort zu sprechen? War sie sich der Tatsache nicht bewusst, dass er mit ihr machen konnte, wonach ihm der Sinn stand? Und wenn er die seidige Kurve ihrer bleichen Wange betrachtete, unter der er den Verlauf der bläulichen Adern geradezu verfolgen konnte, dann fielen ihm eine ganze Reihe von Dingen ein, die er mit ihr tun wollte.
    Er empfand eine befremdliche Mischung aus Verlangen und Sehnsucht, die ihn selbst am allermeisten erstaunte. Noch nie hatte er an ein Frauenzimmer so viele Gedanken verschwendet wie an dieses feenhafte Geschöpf, das ihm die kalte Schulter zeigte. Ein Teil von ihm wollte sie brechen, sich ihr aufzwingen und sie beherrschen, der andere wollte sie schützen und vor allem Schmerz bewahren. Dass er im Augenblick nichts von all dem tun konnte, machte ihn ungeduldig und gereizt.
    Das Sturmgrau der hereinbrechenden Dämmerung verschluckte das letzte Tageslicht, aber außer, dass die Männer die Geschwindigkeit ihrer Reitpferde ein wenig drosselten, geschah nichts. Einer hinter dem anderen ritten sie ungerührt weiter. Roselynne ließ sich vom gleichmäßigen Schaukeln des ruhigen Trabes einlullen, weil ihr nichts anderes übrig blieb.
    Irgendwo in ihrem Körper schlug ein Herz, knurrte ein Magen und sehnte sich eine Kehle nach einem kühlen Trunk, aber sie nahm es nicht wirklich zur Kenntnis. Es waren kleinste Unbilden, die keinen Vergleich zu dem dumpfen, verzweifelten Schmerz aushielten, der ihre

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