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HERZ HINTER DORNEN

HERZ HINTER DORNEN

Titel: HERZ HINTER DORNEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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empfindsamen Sinne umfangen hielt.
    Sie hatte gerade erst ein bisschen Glück gekostet und nun hatte sie es bereits wieder verloren. Verloren wie die Bindung zu den Ihren und die Heimat. Verloren wie ihre Ehre, ihren Namen und ihren Stolz.

13. Kapitel
    »Ihr müsst essen, Mädchen!«
    »Warum?«
    »Warum? Was für eine närrische Frage!«
    »Findet Ihr?« Roselynne maß den Schotten MacDonald mit einem kühlen Blick. »Nennt mir einen einzigen nachvollziehbaren Grund, warum ich essen sollte.«
    »Weil Ihr sonst verhungert!«, schnaubte der junge Nordmann, dessen blaue, durchdringende Augen seine keltische Abkunft ebenso verrieten wie Roselynnes. »Jeder Mensch muss essen, und ganz besonders jene, die eine anstrengende Reise hinter sich und noch vor sich haben. Wollt Ihr krank werden?«
    »Warum nicht?«, fragte Roselynne und sprach schnell weiter, ehe der Mann zu schreien begann, denn danach sah er unzweifelhaft aus. Sie hatte bereits gelernt, dass die Schotten meistens brüllten, wenn man sie in die Enge trieb. »Warum sollte ich das unvermeidliche Ende meines Lebens hinauszögern, indem ich esse? Was gibt es für einen Grund für mich, das Ende dieser Reise erleben zu wollen? Die zweifelhafte Ehre, auf dem Strohsack Eures Herrn zu landen? Vergewaltigt, gequält und geschlagen zu werden? Dann schon lieber verhungern. Ohnehin hab ich keinen Appetit auf das Zeug, tut es fort.«
    Der klebrige Getreidepampf, den sich die Schotten bei jeder abendlichen Rast aus Hafer und Flüssigkeit zusammen mischten, sah in ihren Augen grau, körnig und ekelhaft aus. Die Männer schaufelten ihn mit Messern und Fingern in sich hinein, und Roselynne schüttelte sich bei dem bloßen Gedanken, etwas davon essen zu müssen. Aber die paar Laibe Brot, das bisschen Käse und der Schinken, den der Sack mit dem Reiseproviant enthalten hatte, waren unter dem Appetit von einem guten Dutzend kräftiger Männer schnell dahin geschmolzen.
    Jetzt gab es nur noch Getreidebrei, im günstigsten Falle Quellwasser dazu und sonst den brackigen Wein aus den Trinkschläuchen. Schon der Geruch sorgte dafür, dass sich Roselynnes Magen unheilvoll umdrehte. Ihr war so übel wie noch nie in ihrem Leben.
    »Lass sie«, brummte in diesem Moment Graf Duncan, der die knappe Diskussion seines Gefährten mit der jungen Engländerin belauscht hatte.
    »Willst du, dass sie vor Schwäche vom Pferd fällt?«, protestierte jener. »Sie ist ohnehin nur Haut und Knochen, schau sie doch an. Man muss sich wirklich fragen, weshalb du diesem Gespenst von einem Mädchen so viel Bedeutung beimisst.«
    Roselynne konnte ihm die herbe Beschreibung ihrer Person nicht verübeln. Nach dem dritten Tag ihrer Reise nach Norden, nach Regenschauern, unter den Pferdehufen aufspritzendem Schmutz und wenigen Ruhestunden auf meist feuchten Blättern und Decken sah sie vermutlich aus wie etwas Fauliges, das ein Bauer auf dem Weg zum Markt verloren hatte.
    Ihre Zöpfe waren schwer vor Feuchtigkeit und unter den ehemals weißen Halbmonden ihrer Nägel sammelte sich der Schmutz des ganzen Königreiches. Sie hatte keine Möglichkeit bekommen, ihre Zähne zu reinigen, und die Düfte, die aus ihren Gewändern aufstiegen, mischten sich langsam mit jenen des ungewaschenen Schotten, der sie vor sich im Sattel hielt und nicht aus seinen Klauen ließ. Vermutlich hätte sie nicht einmal ihre eigene Mutter in diesem jämmerlichen Zustand erkannt.
    Roselynne zuckte zusammen. Es war ein Fehler, ausgerechnet jetzt an Lady Liliana zu denken. Bisher hatte sie sorgfältig vermieden, sich ihrer Familie zu entsinnen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie tief die Trauer in Hawkstone über den Verlust der Tochter wäre. Der Zorn und die Hilflosigkeit ihres Vaters, die Verzweiflung ihrer Mutter, die Tränen ihrer Schwestern und ihres Bruders. An ihre Familie zu denken, schwächte und schmerzte zugleich. Ein Teil ihres Herzens gehörte dorthin.
    »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, hörte sie den Grafen mit einem drohenden Unterton antworten, und seine Autorität sorgte dafür, dass der andere nach einem unterdrückten gälischen Fluch das Weite suchte und im Unterholz verschwand. Sie hatten ihr Lager an diesem Abend an der Furt eines kleinen Flusses aufgeschlagen, dessen flaches Ufer Roselynne unwillkürlich an den Cuckmere erinnerte.
    Sie sah dem Schotten nach und unterdrückte ein Lächeln. Sie mochte nicht essen, aber sie labte sich an jedem Fünkchen Zwietracht, das sie zwischen ihren Entführern

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