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HERZ HINTER DORNEN

HERZ HINTER DORNEN

Titel: HERZ HINTER DORNEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Trinkschlauch an die Lippen, und Roselynne spülte den Mund mit seinem Rotwein. Dann jedoch spuckte sie die Flüssigkeit ins Meer, denn je weniger ihr Magen enthielt, umso weniger konnte er von sich geben.
    »Habt Dank ...«, murmelte sie leise und schwankte vor Entkräftung.
    »Ihr solltet Euch niederlegen, sonst fallt Ihr noch im nächsten Wellental über Bord ...«
    Justin d'Amonceux führte sie unter den kleinen Aufbau im Heck des Schiffes, wo es eine Ecke mit halbwegs trockenem Stroh gab, die er mit seinem Umhang polsterte, bevor er sich darauf niederließ und sie in der Beuge seines Armes barg. Es war die einzige Möglichkeit, die verhinderte, dass sie im Auf und Ab der Wellen herumgeschleudert wurde, und im ersten Moment dachte er nur daran, sie sicher zu halten.
    Erst nachdem sich ihre Atemzüge beruhigt hatten und sie mit geschlossenen Augen ruhte, wurde ihm das Gewicht des schönen Kopfes bewusst. Die schlanke Gestalt, die sich Wärme suchend an ihn schmiegte, und die feine Hand, die, entspannt und ausgestreckt, wie ein heller Falter auf seiner Brust lag. Es war das erste Mal, dass er sie so schwach und schutzbedürftig erlebte, und es berührte ihn höchst eigenartig.
    Bisher hatte er sie verführerisch, angriffslustig, stolz, arrogant, praktisch, unerschrocken, streitsüchtig, erschöpft und überwältigt erlebt, aber noch nie so ausgeliefert und schwach. Und das ausgerechnet in einer Lage, in der er auch nicht mehr für sie tun konnte, als sie zu halten und auf Gott zu vertrauen. Hoffentlich trieb sie der aufkommende Sturm wenigstens auf die Küste der Normandie zu. Er wünschte es sowohl der halb ohnmächtigen Lady wie sich selbst.
    Roselynne spürte in ihrer Schwäche von all dem nur seine Ungeduld. Es fiel ihm schwer, sich und sein Schicksal dem krummbeinigen Kapitän anzuvertrauen, der wie ein Felsblock am Ruder stand und das Boot durch die aufgewühlte See steuerte. Vermutlich sehnte er den Augenblick herbei, in dem er sie wieder auf die Füße stellen und sich auf sein Ross schwingen konnte, das Jacques während der rauen Überfahrt zusammen mit dem seinen am kurzen Zügel hielt und zu beruhigen versuchte.
    Dennoch genoss sie die flüchtige Illusion von Geborgenheit, die ihr die breite Brust vermittelte. Auch ihr fiel auf, dass sie noch nie so vertraut und ruhig beieinander gelegen hatten. Es hatte viel zwischen ihnen gegeben, aber noch nie die kleinste Ahnung von echtem Frieden.
    Sie wagte nicht einmal die Augen zu öffnen, so kostbar war die streng bemessene Spanne der Zeit, in der sie nicht ihre Kräfte gegeneinander einsetzten und ihren Stolz aneinander maßen.
    Im Gegensatz zu ihm sorgte sie sich nicht um die Überfahrt oder die Qualitäten des Kapitäns. Es hätte ihr in diesem Zustand nicht einmal etwas ausgemacht, gemeinsam mit ihm und ihrem ungeborenen Kind zu sterben. Sie waren zusammen und sie bekämpften sich nicht. Dieser Zustand kam dem Glück, das ihr ohnehin vorenthalten war, so nahe, dass sie ihn gern bewahrt hätte.
    Sie erreichten Fecamp am Tag vor dem Fest des heiligen Martin, und Roselynne war inzwischen so entkräftet, dass die kleine Hafenstadt nur ein blasser Schimmer aus grauem Stein und schwankenden Masten für sie war. Es konnte keine Rede davon sein, dass sie ihre Reise auf der Stelle fortsetzten. In der Herberge, in der Jacques mit seiner üblichen Tüchtigkeit eine Kammer für seinen Herrn auftrieb, sank sie in das große Kastenbett, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wo sie sich befand und auf welcher Matratze sie schlief.
    Roselynne schlief achtzehn Stunden am Stück, dann erwachte sie mit einem Hunger, der alles in den Schatten stellte, was sie je gefühlt hatte. Sie war allein in der Kammer, und auf einem Hocker vor dem bescheidenen Lager fand sie zu ihrer Überraschung ein frisches Hemd, saubere Strümpfe und ein trockenes, warmes Kleid, das aus einem hellen Untergewand und einer braunen, festen Tunika bestand, die mit Bändern an der Seite geschnürt wurde. Das Kleid einer biederen Hausfrau, oftmals getragen, ein wenig abgescheuert, aber dem Anschein nach frisch gewaschen und nach Lavendel duftend. Ein Eimer mit Wasser, zwei Leinentücher, ein Kamm und nicht zuletzt ein sauberes Nachtgeschirr vervollständigten den Luxus und Roselynne machte sich daran, trotz ihres knurrenden Magens ihre äußere Erscheinung in Ordnung zu bringen.
    Sie verknüpfte eben die Bänder, die sie aus ihrem beschmutzten alten Unterkleid gerissen hatte, um das Ende eines

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