Herz im Spiel
sie.
„Ach ja.“
Dies bezog sich sowohl auf die Bemerkung des Mädchens als auch auf Alice und die Schüssel mit gekochten Rüben und Nudeln, die das Dienstmädchen in diesem Augenblick hereinbrachte. Sie servierte den beiden das Essen und ließ dann die Platte in der Nähe von Desmonds Teller stehen.
Das Auftragen des Essens war eine kleine Ablenkung gewesen, doch als Alice ging, breitete sich wieder unbehagliches Schweigen aus.
„Ihre Studien entwickeln sich gut?“, erkundigte er sich nach einer Weile.
„Sehr gut.“
Allzu viel trug Marianne wirklich nicht zu einer lockeren Atmosphäre bei.
„Und wie sind sie?“, hakte er nach.
„Nicht schwierig“, erwiderte sie, unsicher, was genau er wissen wollte.
„Und was macht Ihr Latein?“
„ Linguam latinam docta sum “, entgegnete Marianne feierlich.
„Ja, ich sehe schon, man hat Sie Latein gelehrt“, sagte Desmond und nickte beifällig. „ Pure et latine loqui .“
„Vielleicht kein elegantes Latein, aber die Bücher in Ihrer Bibliothek scheinen mir jetzt nicht mehr ganz so geheimnisvoll“, meinte Marianne.
Desmond zog die Augenbrauen hoch und nickte verhalten. „Sehr gut“, meinte er, mehr an sich selbst als an sie gerichtet. „Und wie steht’s mit Ihren anderen Fächern?“, fuhr er fort.
Also erzählte Marianne ihm von Miss Gransbys Rhetorik- und Mr Brannons Geschichtsunterricht. „Und gutes Benehmen lernen wir bei Mrs Lynk.“
Desmond konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Gutes Benehmen?“, fragte er, kaum fähig, die Belustigung aus seiner Stimme zu verbannen.
Erstaunt sah Marianne ihn an. „Aber sicher“, erklärte sie. „Tatsächlich hält Mrs Lynk ihr Fach für das nützlichste von allen, die an der Akademie unterrichtet werden.“
Desmond schmunzelte. „Und was lehrt Mrs Lynk Sie nun?“, erkundigte er sich.
„Nun, wie man sich eben benimmt“, erwiderte Marianne.
„Zweifellos müssen Sie viel stehen und auf eine gewisse Art gehen.“
„Und uns wieder hinsetzen. Manchmal scheint mir, dass wir uns häufiger setzen, als wir aufstehen, obwohl das wahrscheinlich nicht möglich ist“, sagte sie mit einem entzückenden munteren Tonfall. Desmond war, als sehe er den Schalk in ihren Augen blitzen.
„Und sind Sie gut darin, sich zu betragen?“, fragte er.
„Ja, bis auf die Art, wie ich mich hinsetze und meinen Kopf drehe.“
„Die Art, wie Sie den Kopf drehen?“
„Ja doch. Manchmal drehe ich ihn zu heftig. Mrs Lynk hat mir schon bei verschiedenen Gelegenheiten vorgehalten, dass kein Gentleman von Stand sich ernsthaft für eine Dame interessieren würde, die ihren Kopf so schnell wendet. Ich muss zugeben, dass ich schon überlegt habe, auf welchen furchtbaren Charaktermakel bei mir diese unselige Angewohnheit wohl hindeutet, und habe mir Sorgen gemacht, was für einen ordinären Schurken ich daraufhin anziehen werde. Aber davon abgesehen, glaube ich, dass Mrs Lynk – und eigentlich alle meine Lehrer – mit meinen Fortschritten an der Akademie zufrieden sind“, schloss Marianne.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen Lächeln, und Desmond schmunzelte. „Ich zweifle nicht daran, dass Sie eine sehr begabte Schülerin sind, Miss Trenton“, meinte er. „Und gestatten Sie mir, Ihre Befürchtungen bezüglich Ihrer Kopfhaltung zu zerstreuen. In meiner Jugend kannte ich einige durch und durch respektable, bewundernswerte Damen, die ihre Köpfe herumwarfen wie aufgeregte Winterdrosseln. Eine ist heute, glaube ich, mit einem sehr reichen Bankier verheiratet und eine andere mit einem Baron. Ich bin der Ansicht, Mrs Lynk weiß nicht so genau, was einen Mann anzieht oder abstößt.“
„Dachte ich es mir doch“, meinte Marianne lächelnd.
Desmond hatte sich ein zweites, ja sogar ein drittes Mal von dem Huhn und den Nudeln aufgetan und reichte die Schüssel jetzt Marianne.
Wenig später räumte Alice die Teller ab und brachte kleine Törtchen herein, die die Köchin als besonderen Willkommensgruß gebacken hatte. Der Gentleman und die junge Dame leerten – zu Alices und James’ Enttäuschung – auch diese Platte und saßen noch lange zusammen an der Abendtafel.
Nach der Mahlzeit waren Marianne und Desmond, die beide mit schweren Vorbehalten zu Tisch gegangen waren, erstaunt darüber, wie angenehm das Essen verlaufen war.
Marianne konnte sich in Desmonds Gegenwart noch nicht ganz entspannen, aber sie war fasziniert von seiner offenkundigen Bildung, die sie früher aus Unwissenheit nicht bemerkt
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