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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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hören«, schrecke ich hoch und blicke angstvoll durch die geöffnete Tür nach nebenan, wo Anoki mit Una vor dem Fernseher abhängt. Aber er grinst gerade über irgendeinen verschrobenen Gag von Sponge Bob und wirft sich eine weitere Handvoll Erdnüsse in den Mund.
    Wir haben das Experiment Familie anlaufen lassen. Anoki hat Ferien, die Theateraufführung war der krönende Abschluss seines Schuljahrs. Von seinem Zeugnis rede ich lieber nicht. Natürlich ist er sitzengeblieben. Ehrlich gesagt hätte ich ihn bei diesen Noten drei Klassen zurückgestuft, aber das geht anscheinend nicht. Das einzig Positive an diesem Dokument des Schreckens ist die Bemerkung »Anoki hat mit viel Engagement und großem Erfolg an der Theater-AG teilgenommen«. Über den Rest führe ich mit ihm täglich erbitterte Diskussionen. Wie auch immer: Anoki ist in Berlin, und wir pendeln zwischen meiner und Judiths Wohnung hin und her. Er hat sich in beiden gleichermaßen ausgebreitet und seine Spuren hinterlassen: Zahnputzbecher, Handtücher, Aschenbecher, Unterwäsche. Bei Judith ist er weniger ordentlich; offenbar genügt ihm die Gegenwart einer Person weiblichen Geschlechts, um jegliche Verantwortung für Haushaltspflichten abzuschütteln. Bei mir kommt er damit nicht durch, da muss er auch mal staubsaugen oder Hemden bügeln. Schon allein, weil er dabei so sexy aussieht. Im Übrigen scheint es ihm seit seinem desillusionierenden Wiedersehen mit meiner Mutter vollkommen gleichgültig zu sein, wohin er abends sein müdes Haupt bettet, solange er satt und – in meiner Nähe ist. Das sage ich in aller Bescheidenheit. Ich will damit nichts weiter andeuten, als dass ich für ihn unwiderruflich die zentrale Bezugsperson bin, jemand, dem er ohne nachzudenken hinterherläuft, den er ständig im Auge behält, dessen Kommandos er gleichmütig befolgt und bei dem er sich ab und zu eine bescheidene Portion Körperkontakt abholt. Ich nenne ihn Tiger, aber er hat weit mehr Ähnlichkeit mit einem Hund.
    Ich gebe mir Mühe, ihn auch als solchen zu betrachten. Ein niedlicher, zottiger Streuner mit zweifelhafter Vorgeschichte, der mir zugelaufen ist, mich mit seiner beharrlichen Treue und rührenden Anspruchslosigkeit gewonnen hat und dessen Leben um meins kreist wie ein Planet. Nicht mehr. Denn mehr wäre unserem Familienleben abträglich. Alles Übrige beansprucht Judith für sich, meine Verlobte, meine zukünftige Braut, die Frau, mit der ich zusammenziehen werde, deren Tochter ich mit erziehen soll, die jeden Tag für mich und Strolchi kocht und mich mit ihrem Apfelkuchen willenlos macht. Die Nächte verbringe ich in ihrem Bett, während unser Haustier sich auf einer Matratze vor Unas Bett zusammenrollt und träumend mit den Beinen zuckt. Beinahe erwarte ich, dass er sein Frühstück aus einem Napf auf dem Küchenboden schlabbert.
    Wer weiß – vielleicht könnten wir uns auf Dauer mit dieser Regelung arrangieren. Jedenfalls scheint keiner von uns unglücklich zu sein, auch wenn es deutliche Abstufungen des Glücks gibt. Am obersten Ende der Skala bewegt sich Judith, die jetzt genau das hat, was sie wollte. Am untersten bin ich. Für Anoki ist es vermutlich ein Kompromiss, den er aus Vernunftgründen für angemessen hält, aber er ist mit Sicherheit nicht so namenlos in mich verliebt wie ich in ihn – aller Wahrscheinlichkeit nach ist er überhaupt nicht in mich verliebt und hat bisher nur deshalb so eifersüchtig reagiert, weil er mal jemanden ganz für sich haben wollte. Jetzt hat er eine Familie mit Mutter, Schwester und so einer Art Vaterbruder, also eine ziemlich korrekte Angelegenheit für ein exautonomes Exheimkind, und es gibt keinen Grund für ihn, dagegen aufzubegehren. Ich würde es nie offen aussprechen, aber ich bin enttäuscht. Es war eine Quälerei, ständig zwischen Judith und Anoki hin- und hergezerrt zu werden und Spielball ihrer Machtkämpfe zu sein, aber es ist noch viel schlimmer, vom potenziellen Verführer zum Hundehalter degradiert zu sein.
    Anoki kommt in die Küche geschlendert, um zu sehen, was wir treiben. Er lehnt sich an den Kühlschrank und hört zu, wie Judith sagt: »Hoffentlich ist der verflixte Kuchen bald fertig. Wir müssen los. Um halb sieben sollen wir am Gierkeplatz sein.« Sie hat die Wohnungssuche jetzt komplett in der Hand und vereinbart jeden Abend zwei bis drei Besichtigungstermine. Bisher war nichts Passendes dabei, aber sie zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen.
    »Was is’n da«, fragt Anoki nur mäßig

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