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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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Reisetasche auf dem Beifahrersitz nach meinen Tabletten und schlucke eine davon trocken runter. Darin habe ich mittlerweile viel Übung.
    Ich bin trotzdem nervös, als ich an der Tür meines Elternhauses läute. Mein Vater öffnet und legt mir kurz und wortlos die Hand auf die Schulter. Dann kommt meine Mutter, strahlend wie ein Atommeiler und ebenso energiegeladen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, sie sei frisch verliebt.
    »Und? Wo ist er?«, frage ich, um wenigstens den Anschein von Interesse zu erwecken.
    »Oben in seinem Zimmer«, sagt meine Mutter aufgeregt. »Er kommt gleich runter.«
    Bitte, was? In seinem Zimmer? Das ist immer noch Bennis Zimmer! Ich atme tief durch und überlege, ob ich noch eine zweite Tablette nehmen soll, aber da höre ich bereits Schritte auf der Treppe.
    Ich will versuchen, Anoki Kassek so zu schildern, wie ich ihn bei dieser ersten Begegnung sehe: Unter dem Rand seiner Schirmmütze quillt eine Flut unterschiedlich langer schwarzer Dreadlocks hervor, von denen einige bis auf seinen Rücken reichen. Er trägt ein dunkelgrünes Kapuzensweatshirt mit Tribaldruck, ausgefranste Jeans mit Löchern an den Knien und ungeputzte Schnürstiefel. An der Mütze sind eine ganze Menge Buttons befestigt, von denen mir spontan einer mit der unmissverständlichen Aufforderung »Fuck off« ins Auge springt. Die Art, wie er betont gleichgültig die Treppe runterschlurft, seine Aufmachung und seine Haltung kommunizieren sozusagen in Fettdruck »schwer erziehbar«. Er ist die Personifizierung von Protest und Provokation.
    Dann steht er unmittelbar vor mir und sieht mich herausfordernd an, und ich stelle fest, dass er es bei aller Bemühung nicht schafft, einen schmerzlichen Ausdruck der Verlorenheit aus seinen großen dunklen Augen zu verbannen (die er, wenn ich mich nicht täusche, mit Kajalstift umrahmt hat). Es ist genau dieser sterbenstraurige, angstvolle Blick, der mich davon abhält, ihm gleich zur Begrüßung in die Fresse zu hauen.

 
 
3
    Meine Mutter hat den Tisch für ein gemeinsames Abendessen gedeckt. Sie kocht und backt leidenschaftlich gerne, und heute hat sie sich besonders viel Mühe gegeben. Es gibt eine Gemüsesuppe aus frischen Zutaten, an denen sie den ganzen Nachmittag herumgeschnippelt haben muss, außerdem Buletten, Hähnchenflügel, Kartoffelsalat, hart gekochte Eier und zum Abschluss einen noch warmen Apfelkuchen mit Rosinen. Anoki schiebt sich alles systematisch, hungrig und desinteressiert hinter die Kiemen, was man vor ihm aufbaut. Er isst wie jemand, der nicht weiß, wann er das nächste Mal mit einer Mahlzeit rechnen kann, dem das aber gleichzeitig scheißegal ist.
    Außerdem hat er keine besonders ausgeprägten Tischmanieren, ich meine, es ist zwar nicht so, dass er rülpst, in den Zähnen bohrt und sich in die Serviette schneuzt, aber er hat mehrfach den Ellbogen auf dem Tisch, und als er ein Stückchen Kuchen mit einem irrtümlich da hineinverirrten Apfelkern erwischt, verzieht er angewidert das Gesicht, stößt einen leisen Ekellaut aus und fischt sich den Kern des Anstoßes mit den bloßen Fingern aus dem Mund, um ihn dann auf dem Tellerrand abzulegen. Ich weiß, wie viel Wert meine Eltern auf ein kniggekonformes Essverhalten legen, deshalb beobachte ich ungläubig, wie bedingungslos meine Mutter Anoki die ganze Zeit anstrahlt, als sei er der Bundespräsident.
    Er redet kein Wort, es sei denn, er wird etwas gefragt. Und auch dann zeichnet er sich nicht gerade durch überschäumende Mitteilsamkeit aus. Also ungefähr so:
    »Magst du gerne Suppe, Anoki?«
    »Mhm. Ganz gerne.«
    »Was ist denn dein Lieblingsessen?«
    »Pizza.«
»Tatsächlich? Wenn du möchtest, können wir ja morgen Pizza machen.«
»Okay.«
»Hast du schon mal selber Pizza gemacht? Ich meine, den Teig selbst angesetzt und selbst belegt?«
    »Nö.«
»Ich kann es dir morgen zeigen, wenn du Lust hast.«
    »Mhm.«
    Meine Mutter lässt sich ihre Laune durch seine Einsilbigkeit nicht verdrießen, während mein Vater zunehmend gedankenvoller wird. Mir fällt auf, dass er Anoki kaum anschaut, während meine Mutter den Blick nicht von ihm abwenden kann. Echt, sie benimmt sich wie ein verknallter Teenager. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so was Peinliches erlebt habe. Okay, er sieht nicht schlecht aus. Er hat eine klassische, gerade Nase wie eine Statue von Michelangelo und einen verblüffend wohlgeformten Mund mit vollen, sinnlichen Lippen. Aber – na und? Was mich betrifft, so schieße

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