Herzen aus Asche
Sauerstoff wurde knapp. Loan war tot, besiegt. Aber zu welchem Preis? Wenn Amelie starb, würde auch Leif das Diesseits verlassen müssen und Jariks Opfer wäre umsonst gewesen. Selbst, wenn Leif nicht an sie gebunden gewesen wäre, hätte die vollständige Vernichtung der Villa dafür gesorgt, dass er in der Zwischenwelt gefangen sein würde.
Sie sank in sich zusammen, presste die Wange auf den heißen Boden. Ihre Lippen waren aufgeplatzt und g eschwollen, die Haare, die ihr ins Gesicht fielen, rochen verbrannt.
Feuer leckte am Saum ihrer Hose, aber Amelie hatte keine Kraft mehr, das Bein anzuwinkeln. Schmerzen schossen ihr in den Fuß, unerträglich. Sie wollte sich in eine erlösende Ohnmacht fallen lassen, doch es gelang ihr nicht. Ihr Körper hing am Leben, gab es nicht bereitwillig auf.
Sie spürte etwas an ihrer Schulter, konnte jedoch den Kopf nicht bewegen. Dann zog jemand ihren Oberkörper nach oben, die Arme und der Kopf hingen schlaff herab wie bei einer Puppe. Amelie spürte, wie sie herumgedreht wurde, mit dem Gesicht nach oben. Sie konnte die Mu skeln in ihrem Genick nicht anspannen, der Kopf fiel nach hinten, bis etwas ihn stützte, eine Hand. Zuerst sah Amelie alles verschwommen, dann blickte sie in das Gesicht von Leif, der auf dem Boden hockte, ihren Körper wie ein Baby in den Armen haltend. Er war genauso gutaussehend wie immer, nicht einmal Ruß klebte in seinem Gesicht, und trotz der Hitze waren seine Haare noch immer nass. Amelie wollte ein Wort formen, wollte ihm sagen, dass sie ihn liebte, aber zu sprechen verlangte ihr mehr Kraft ab, als sie aufzubringen imstande war. Binnen weniger Minuten hatte sie die Kontrolle verloren, der Sauerstoffmangel raffte sie dahin, schnell und unerbittlich. Der Rauch schmerzte in der Lunge, sie konnte nur noch winzige Atemzüge tun, und selbst die brachten keine Erleichterung. Sie erstickte. Langsam.
Leif beugte sich zu ihr hinab und hauchte ihr einen Kuss auf die eingerissenen Lippen. Er gab ein Winseln von sich, Tränen rannen seine Wangen hinab. Hatte sie ihn jemals weinen sehen?
»Es gibt keinen Weg hinaus. Ehe ich durch die Tür wäre, wärest du verbrannt. Die Feuerwand ist zu dick.« Selbst jetzt suchte er noch nach Rechtfertigungen, weshalb er ihr nicht helfen konnte. Als ob das noch zählte! Amelie wusste, dass sie sterben würde, und sie machte ihm keinen Vorwurf. Es war zu spät. Das Feuer hatte sich unnatürlich schnell ausgebreitet und ihr keine Chance gelassen. Sie spürte inzwischen nicht einmal mehr Schmerzen. Kurz vor dem Tod schüttet der Körper Unmengen von Hormonen aus, die das Ableben erträglicher machen. Sie fühlte absolut nichts, außer der innigen Liebe, die sie mit Leif verband.
Sie schloss die Augen. Leifs Arme schlossen sich e nger um sie, wie ein schützender Käfig. Er presste sie dicht an sich. Das Brüllen des Feuers war ohrenbetäubend, und Amelie wusste, dass ihre Hose brannte, sich der Stoff in ihre Haut fraß. Es war ihr seltsam egal. Mit einem Mal wollte sie nur noch, dass es schnell vorüber ging.
Komm mit mir. Komm mit mir.
Mit einem Mal hörte sie Leifs Stimme nur noch in ihren sich verdunkelnden Gedanken, alle anderen Geräusche um sie herum wurden schwächer. Das Knistern und Lodern drang in den Hintergrund ihres Bewusstseins, verblasste.
Wie stellt man es an, seinen Körper zu verlassen? Die sterbliche Hülle zu ignorieren? Amelie spürte, wie Leif in ihre Gedanken eindrang.
Komm mit mir , wiederholte er.
Für die Dauer eines Herzschlags nahm sie die Welt mit seinen Augen wahr. Bunter, vollkommener, schärfer. Sie ging mit ihm, als führte er sie an der Hand aus ihrem Körper hinaus.
So ist es gut. Dreh dich nicht um.
Amelie war sich nicht darüber bewusst gewesen, dass sie sich überhaupt umdrehen konnte , denn sie hatte ihre Körperlichkeit verloren, jeden Bezug zu ihren Sinnen und ihren Muskeln. Was er meinte war, dass sie sich nicht zurücksinken lassen sollte in ihr altes Ich. Aber da war immer noch dieses hauchfeine Band, das störende Wissen um ihren verbrannten Körper auf dem harten Mosaikboden. Zu lange darüber nachzudenken bedeutete, ihm Substanz zu verleihen.
Wirf ihn weg. Er ist Ballast. Lass los.
Und plötzlich war alles ganz mühelos. Es war nichts als eine einfache Entscheidung, die hatte getroffen werden müssen. Amelie nahm Leifs Hand und betrat mit ihm die Schwärze der Zwischenwelt.
Einen Moment lang war es dunkel, vollkommen. Sie wurde sich der Berührung von Leifs Hand in ihrer
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