Herzen aus Asche
zweifle ich daran, ob du das richtige Fach gewählt hast. Sieh dir Sara an, ihr steht das Studienfach wenigstens gut zu Gesicht.«
Amelie kannte ihren Cousin gut genug, um nicht auf seine Provokation einzugehen. Er liebte es, sie zu ärgern.
»Ich studiere Kunstgeschichte, keine praktische Malerei.«
»Wie dem auch sei, aber ein Stück Kuchen auf dem Teppich sollte dir nicht die Laune vermiesen. Auße rdem ziehst du doch ohnehin bald aus.« Thore wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. Er war wirklich keine Schönheit, und beleidigte mit seinen Sommersprossen und der dicken Wampe das Auge jedes Ästheten.
»Das heißt doch nicht, dass ich meiner Mutter e inen Saustall hinterlassen muss.«
In diesem Moment ertönte ein Klick aus Richtung der Stereoanlage, weil der letzte Song der CD durchgelaufen war. Amelie machte einen Schritt über Saras ausgestreckte Designer-Ballerinas hinweg und steuerte auf die Musikanlage im Regal neben ihrem Bett zu. Sie nahm die CD heraus und ließ ihren Blick über ihre Musiksammlung schweifen.
»Kannst du etwas Rockiges spielen?«, fragte Mik ael, der es sich auf dem Klappstuhl neben Saras Angelhocker bequem gemacht hatte und seiner Freundin über das Knie strich.
»Deinen Musikgeschmack kenne ich«, sagte Amelie und reckte ihm neckisch den Zeigefinger entgegen. »Der ist allenfalls dazu geeignet, Hunde zum Jaulen zu bringen.«
Mikael warf mit einer zerknüllten Serviette nach ihr und streckte die Zunge hervor. Er war ein netter Kerl, aber mit sein em dunklen Pferdeschwanz und der mit Bandaufnähern bestickten Weste wollte er einfach nicht zu seiner modebewussten Freundin passen. Mikael hörte eine ziemlich harte Schiene von Musik, Amelie hatte nie verstanden, wie sich das jemand freiwillig anhören konnte. Er bezeichnete sich selbst als Neo-Wikinger, und seine Vorliebe für die alten Götter trug er gerne in Form von Kettenanhängern und Aufnähern zur Schau. Er konnte von Glück reden, dass Sara so tolerant und offen war. Amelie liebte ihre Freundin für diese Eigenschaft.
Sie entschied sich für einen Partymix aus den Achtzigern und startete die CD. Sie ignorierte das entnervte Seufzen von Thore und bahnte sich ihren Weg zurück zum Klapptisch.
»Ich bringe den matschigen Kuchen mal eben ru nter in die Küche. Wenn ich ihn entsorge, bevor meine Mutter das Desaster entdeckt, fällt ihr der Fettfleck vielleicht nicht auf.«
Ameli e griff nach dem Teller, schlüpfte durch die Tür und zog die Zimmertür hinter sich zu. Sie trat auf den Flur hinaus. Sie hielt einen Augenblick lang inne. Das undeutliche Murmeln des Fernsehprogramms drang durch die geschlossene Wohnzimmertür. Vielleicht war ihre Mutter auf dem Sofa eingeschlafen. Sie arbeitete hart, seit sie sich mit einem Geschäft für Antiquitäten und Trödel selbstständig gemacht hatte. »Arbeite selbst und ständig«, hatte ihre Großmutter immer gesagt, und damit hatte sie Recht behalten.
Amelie ging in die Küche, die einer solchen Bezeic hnung nicht würdig war. Obwohl es in Uppsala eine Menge historischer Altbauten und typisch skandinavischer Holzhäuser gab, hatte ihre Oma ausgerechnet eine Eigentumswohnung in einem Betonklotz aus den Siebzigern gekauft, dessen Wohneinheiten augenscheinlich für Hobbits oder Gnome konzipiert worden waren. Immerhin gab es einen Aufzug, der der alten Dame zu Lebzeiten die Wege erleichtert hatte. Amelies Mutter hatte nach dem Tod der Großmutter die Wohnung übernommen, und Amelie war mehr als froh darüber gewesen, keine Geschwister zu haben. Ihr kleines Zimmer war auch für eine Person schon zu eng. Die Küche maß drei Meter in der Länge, und wenn Amelie beide Arme ausstreckte, konnte sie die gegenüberliegenden Wände berühren. Ein Mensch mit Platzangst hätte es auf fünfzig Quadratmetern schlecht geschnittener Wohnfläche nicht lange ausgehalten. Dennoch mochte sie die Wohnung, denn sie war ein Hort vieler schöner Erinnerungen. Ebenso wie ihre Mutter konnte sie sich schlecht von alten Dingen trennen. Kein Wunder, dass Inger Ivarsson einen Antiquitätenhandel betrieb, während ihre Tochter sich anschickte, Kunstgeschichte zu studieren. Doch so sehr Amelie an ihrem Kinderzimmer hing, es wurde höchste Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen.
Sie öffnete den Deckel des Treteimers und beförde rte das bis zur Unkenntlichkeit verunstaltete Stück Kuchen in den Restmüll.
»Was tust du in der Küche, Liebes?«
Amelie hätte vor Schreck beinahe den Teller fallen
Weitere Kostenlose Bücher