Jenseits des Bösen
CLIVE BARKER
JENSEITS DES BÖSEN
Roman
Aus dem Englischen
von Joachim Körber
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
HEYNE ALLGEMEINE REIHE
Nr. 01/8794
Titel der Originalausgabe
THE GREAT AND SECRET SHOW
Scanned by Doc Gonzo
Diese digitale
Version ist
FREEWARE
und ni
cht für den
Verkauf bestimmt
Copyright © Clive Barker 1989
Copyright © der deutschen Ausgabe 1990
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Printed in Germany 1993
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Satz: (l546) IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
Druck und Bindung: Ebner Ulm
ISBN 3-453-06435-6
Erinnerungen, Prophezeiungen und Fantasiegespinste, Vergangenheit, Zukunft
und der Augenblick des Traums dazwischen
- sie alle schaffen ein Land, das einen einzigen, unsterblichen Tag lang existiert.
Das zu wissen, ist Weisheit.
Es sich nutzbar zu machen, ist die ›Kunst‹.
Inhalt
Erster Teil:
DER BOTE
Seite 5
Zweiter Teil:
DER BUND DER JUNGFRAUEN
Seite 72
Dritter Teil:
FREIE GEISTER
Seite 123
Vierter Teil:
ENTSCHEIDENDE AUGENBLICKE
Seite 199
Fünfter Teil:
SKLAVEN UND LIEBHABER
Seite 345
Sechster Teil:
IN GEHEIMNISSEN OFFENBART
Seite 447
Siebter Teil:
SEELEN AM NULLPUNKT
Seite 597
Erster Teil
Der Bote
I
Homer machte die Tür auf.
»Kommen Sie herein, Randolph.«
Jaffe haßte die Art, wie er Randolph sagte; ein leiser Hauch Verachtung klang in dem Wort mit, als würde er jedes
verfluchte Verbrechen kennen, das Jaffe jemals begangen hatte, vom ersten, dem unbedeutendsten, angefangen.
»Worauf warten Sie?« fragte Homer, der Jaffes Zaudern sah.
»Sie haben zu arbeiten. Je früher Sie anfangen, desto früher kann ich Ihnen neue Arbeit geben.«
Randolph betrat das Zimmer. Es war groß und im selben galligen Gelb und Schlachtschiffgrau wie alle anderen Büros und Flure des Hauptpostamts von Omaha gestrichen. Nicht, daß man viel von den Wänden gesehen hätte. Auf beiden Seiten war bis hoch über ihre Köpfe Post gestapelt. Säcke, Taschen, Kisten und Wägelchen voll Post, die teilweise bis auf den kalten Betonboden überquoll.
»Irrläufer«, sagte Homer. »Sachen, die nicht einmal die gute alte US-Post zustellen kann. Toller Anblick, was?«
Jaffe war fassungslos, bemühte sich aber, es nicht zu zeigen.
Er bemühte sich stets, überhaupt nichts zu zeigen, besonders Klugscheißern wie Homer gegenüber.
»Das gehört alles Ihnen, Randolph«, sagte sein Vorgesetzter.
»Ihre kleine Ecke des Himmelreichs.«
»Was soll ich damit machen?« fragte Jaffe.
»Sortieren. Aufmachen und nach wichtigen Sachen suchen, damit wir nicht letztlich gutes Geld in den Ofen werfen.«
»Ist Geld darin?«
5
»In manchen«, sagte Homer grinsend. »Vielleicht. Aber größtenteils handelt es sich um Plunder. Sachen, die die Leute nicht wollen und einfach wieder ins System zurückführen. Auf manchen steht eine falsche Anschrift; die werden hin und her geschickt, bis sie schließlich in Nebraska landen. Fragen Sie mich nicht, warum, aber jedesmal, wenn sie nicht wissen, was sie mit diesem Mist anfangen sollen, schicken sie ihn nach Omaha.«
»Das ist die Mitte des Landes«, bemerkte Jaffe. »Tor zum Westen. Oder zum Osten. Je nachdem, aus welcher Richtung man kommt.«
»Dies ist nicht der Mittelpunkt«, konterte Homer. »Aber wir bekommen den Mist trotzdem. Und es muß alles sortiert werden. Von Hand. Von Ihnen.«
»Alles?« sagte Jaffe. Vor ihm lagen zwei, drei, vier Wochen Arbeit.
»Alles«, sagte Homer und bemühte sich nicht einmal, seine Genugtuung zu verbergen. »Und Sie werden es bald heraus haben. Wenn der Umschlag das Siegel der Regierung trägt, legen Sie ihn auf den Stapel zum Verbrennen. Machen Sie sich nicht die Mühe und öffnen ihn. Scheiß drauf, richtig? Aber den Rest machen Sie auf. Sie machen sich keine Vorstellung, was wir alles finden werden.« Er grinste verschwörerisch. »Und was wir finden, das teilen wir«, sagte er.
Jaffe arbeitete erst neun Tage für die US-Post, aber das war lange genug, eindeutig lange genug, um zu wissen, daß viel Post von den bezahlten Überbringern veruntreut wurde. Pakete wurden aufgeschnitten, ihr Inhalt geklaut, Schecks wurden eingelöst, über Liebesbriefe wurde gelacht.
»Ich werde in regelmäßigen Abständen herkommen«,
mahnte Homer. »Also versuchen Sie nicht, etwas vor mir zu verbergen. Ich habe einen Riecher für so etwas. Ich weiß, wann Geldscheine in einem Brief sind, und ich weiß, wann ein Dieb im Team
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