Herzensach - Roman
mal.«
»Ich frage mich, wieso Gustav Anderson, ohne mir Nachricht zu geben, ins Ausland geflogen ist. Wir waren eigentlich verabredet. Und heute morgen ruft mich unser Anwalt an, er hat erfahren, daß bei der Staatsanwaltschaft Untersuchungen laufen.«
»Das bedeutet ...«
Er schüttelte den Kopf: »Untersuchungen sind immer mal gelaufen. Ohne Ergebnis. Aber warum informiert mich Gustav nicht?«
»Seid ihr denn immer noch beim Schiffeversenken?«
Er lachte als Antwort, um nicht mit ihr diskutieren zu müssen. Sie war eine kluge Frau, aber mehr als ihren Verstand schätzte er ihr Gefühl. Die Schiffe der indonesischen Reederei hatten auf ihren spontanen Vorschlag hin ausschließlich eine Besatzung aus Hongkong-Chinesen bekommen. Die Angehörigen machten keine Schwierigkeiten, wenn sie verschwanden.
Dorothee Wischberg löste sich von ihm und trat einen Schritt zurück. »Du bist verunsichert. Das kenne ich nicht von dir. Was ist los?«
Er hob die Schultern.
»Willst du meinen Rat?« fragte sie von der Seite.
Er nickte bedächtig.
»Hier ist er: Verschwinde. Wenn du selbst nicht mehr weißt, was du tun sollst, hau ab, warte irgendwo, bis sich die Situation geklärt hat.«
»Ich habe das auch gedacht. Aber ist es nicht seltsam? Es ist vollkommen gegen meine sonstige Art. Immer wenn es Schwierigkeiten gab, haben wir die alte Fahne hervorgeholt, die Feinde damit erschreckt und in die Flucht geschlagen. Warum von einem so erfolgreichen Rezept abweichen?«
»Was immer du tun willst, zögere nicht. Nicht der Wille entscheidet, sondern der Wind.«
Es war ein Sprichwort seines Vaters, das sie benutzt hatte, und er kannte den Ursprung. Es war auf die vorderste Seite der Familienchronik geschrieben. Und dort hatte es in seiner Vollständigkeit einen anderen Sinn: Entweder dein Wille entscheidet, oder der Wind treibt dich. Hendrik van Grunten hatte die Familienchronik angelegt, aber Jan vermutete, daß er das Motto schon von seinem Vater Cornelius hatte.
»Du hast recht.« Er schwang sich aufs Pferd, wendete es, winkte ihr zu, durchquerte den Fluß und preschte in den Wald hinein. Nach einem halben Kilometer verfiel er wieder in Trab. Dorothees Rat war richtig. Er sollte sofort umkehren, den Wagen aus der Garage holen, notdürftig einen Koffer packen und wegfahren. Und Katharina? Er nahm sie einfach mit. Warum nicht eine kleine Reise – nein, eine Weltreise natürlich. In vierzig Tagen um die Welt! Sie war die ideale Begleiterin. Robust und mutig. Und sie konnte noch staunen. Er würde sich daran weiden.
Alles Notwendige konnte man unterwegs kaufen. Abgesehen von Katharina war eine solche spontane Reise nur mit Dorothee vorstellbar. Alle anderen würden auf ihren Pfennigabsätzen ausschließlich jammern.
Das Pferd war in Schritt gefallen, weil es seinen Druck nicht mehr spürte. Er trieb es wieder an und ritt den Heidberg hinauf. Heute war Sonntag. Bis Montag früh hatte er bestimmt noch Zeit. Oben auf dem Thingplatz hielt er das Tier an und schaute hinunter auf das Dorf. Er hörte einen Schuß; er kam vom Waldhang. Er ritt dem Knall entgegen, und nach einer Weile trat der Förster hinter einem Baum hervor.
»Ihr seid zurück und schon auf der Jagd?« genoß Jan seine alte Rolle.
Johann Franke lachte, kam dicht ans Pferd und reichte dem Gutsherrn die Hand hinauf. »Kaum ist der Förster aus dem Wald, tanzen die Füchse auf den Tannenspitzen.«
»Es ist gut, daß Sie zurück sind und für Ordnung sorgen. Ich fürchte nur, Ihre Fernsehsendung wird alles durcheinanderbringen.«
»Sie wissen schon von der Sendung?«
»Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell.«
»Keine Angst, sie findet nicht statt.«
»Ich hörte, es war eine Idee des Studenten.«
»Ich habe das Gefühl, er wird uns nicht mehr lange erhalten bleiben. Ich denke, wir langweilen und nerven ihn.« Der Förster nahm sein Gewehr von der Schulter und strich liebevoll über den Lauf.
»Ihnen hat er doch Spaß gemacht.«
»Ach, er störte mich nicht.«
»Und Ihr Gesicht auf der Mattscheibe, das hätte Sie nicht gestört? Jeder würde Sie kennen – oder sollte ich sagen: erkennen.« Er wußte schon lange, daß den Förster mehr als nur die Leidenschaft zur Hundezucht in die Großstädte trieb.
»Was wollen Sie damit sagen?«
Für Jan war die Frage ein wenig zu aufmüpfig, dafür bezahlte er das Hobby des Mannes nicht.
»Nicht dein Wille, sondern der Wind treibt dich.« Was für ein schöner Spruch. Er paßte immer.
Er griff die Zügel
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